Im Schatten der Königin: Roman
steht Euch die Schlosskapelle von Windsor zur Verfügung.«
Die Gräfin Lennox erwischte ich mit dem französischen Botschafter, und das war ganz und gar nicht gut. Lady Lennox war eine Base ersten Grades der Königin; sie war die Tochter von Margaret Tudor, der älteren Schwester unseres verstorbenen Königs Henry. Sie war die beste Freundin der verstorbenen Königin Mary gewesen, so stolz und katholisch wie der Teufel und sich nur zu bewusst, dass bei einem Sturz Elizabeths sie und ihre Söhne dem Thron ein gewaltiges Stück näher sein würden. Wie erwartet, beeindruckte mein Hinweis, an dem Gedenkgottesdienst für Lady Dudley in der Kapelle teilzunehmen, sie nicht im Geringsten.
»Natürlich bedauere ich das arme Ding«, sagte sie herablassend, »aber letztendlich muss man mit so etwas rechnen, wenn man in eine Familie von Emporkömmlingen einheiratet, wie es die Dudleys sind, nicht wahr? Wenn Ihr mich fragt, alles Unheil der letzten Jahrzehnte lässt sich auf den Ehrgeiz von Emporkömmlingen zurückführen, die sich nicht mit dem Platz bescheiden wollten, den die gottgewollte Ordnung für sie vorgesehen hat.« Der Hohn in ihrer Stimme war unverkennbar, als sie schloss: »Emporkömmlinge wie die Dudleys … die Seymours … die Boleyns.«
Ich war nicht eitel genug, anzunehmen, der letzte kleine Dolchstich sei für mich gemeint gewesen. Was mich aber sehr wohl betroffen machte, war, dass sie sicher damit rechnete – nein, dass sie hoffte – , dass ich es Elizabeth gegenüber wiederholen würde. Das konnte nur bedeuten, dass sie und ihresgleichen sich gewiss waren, dass die Königin nicht mehr fest genug auf ihrem Thron saß, um dergleichen Unverschämtheiten sofort zu bestrafen. Es führte mir einmal mehr vor Augen, in welche Gefahr uns der Tod dieser harmlosen jungen Frau gebracht hatte, an deren Gesicht ich mich kaum erinnern konnte.
Der französische Botschafter betrachtete mich sehr aufmerksam und wartete darauf, was ich entgegnete. Seine junge Herrin, die Königin von Frankreich, war eine Enkelin Margaret Tudors und gleichzeitig auch Königin der Schotten. Wenn Lady Lennox und ihre Kinder eine makellose eheliche Abstammung von Margaret Tudor nachweisen konnten, so konnte das Mary Stuart erst recht, mit dem doppelten Vorzug, sogar mit einem König verheiratet zu sein und damit die Armeen zweier Länder zur Verfügung zu haben. Ich bin kein Diplomat, kein Staatssekretär, überhaupt keine Mannsperson, aber wenn man als Gouvernante eines lernt, dann, wann es Zeit ist, nicht nachzugeben, weil man sonst seine Autorität ein für alle Mal verloren hat. Also straffte ich meinen Rücken und schenkte Lady Lennox ein sehr dünnes Lächeln.
»Man möchte meinen«, sagte ich, »dass die Schwiegertochter eines Herzogs Euch hochrangig genug wäre, um ein paar Gebete für sie zu sprechen.«
Wie ich erwartet hatte, rümpfte sie die Nase und entgegnete höhnisch: »John Dudley hat sich selbst zum Herzog von Northumberland gemacht. Das lässt sich mit Adel von Geblüt kaum vergleichen.«
»Natürlich fehlt mir Euer Verständnis für die Einschätzung von Rang«, sagte ich milde, »aber soweit ich mich erinnere, wurde ihm der Titel verliehen, weil er die Franzosen wiederholt zur See besiegte, entscheidend zu unseren Siegen über Eure schottische Heimat beitrug und in Norfolk erst höchste Tapferkeit vor einer feindlichen Übermacht und dann Gnade gegenüber den besiegten Rebellen zeigte. Kurzum, für seine Taten. Entschuldigt das Gedächtnis einer Frau, die ihre Jugend bereits hinter sich hat, aber wann hat sich das letzte Mal ein Stuart oder ein Graf Lennox durch persönlichen Einsatz ausgezeichnet? Gewiss irre ich mich, wenn ich meine, dass es ein paar Jahrhunderte her sein muss.«
Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal den verstorbenen John Dudley verteidigen würde, aber zu seinem Aufstieg war es tatsächlich nicht etwa wegen eines Talents zur Schmeichelei gekommen, über das jeder Höfling verfügte, sondern wegen seiner Leistungen, was nun eine sehr gute Waffe gegen die Gräfin Lennox abgab. Während sie noch empört nach Luft schnappte, fuhr ich fort: »My lady, Frauen in unserem Alter hat der Herr leider so manche Gebrechen geschenkt. Ein schlechtes Gehör gehört bei mir dazu, und ich bin gewiss, Euch geht es ähnlich, denn offenbar habt Ihr nicht verstanden, dass die Königin Eure Anwesenheit in der Kapelle wünscht. Verzeiht mir, wenn ich diesbezüglich zu leise gesprochen habe, genau wie Ihr, denn
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