Im Schatten der Königin: Roman
zu lassen. Der sechzehnte, wie? Das waren gerade noch fünf ganze Tage für mich. Verdammt!
Robin schrieb weiter, er habe Amys Halbbruder John Appleyard und »einigen ihrer Freunde« Nachricht geschickt, damit sie nach Cumnor kommen konnten, um »selbst Zeuge zu sein, wie die Untersuchung vorwärtsgeht«. Das bedeutete, dass ich morgen mit Appleyard rechnen musste, was mir nicht eben Freude bereitete. Ich hatte den Mann in Norfolk getroffen, als ich mit seinem Stiefvater über Amys Mitgift verhandelte, und keine guten Erinnerungen an ihn. Mit Amys Freunden meinte Robin mutmaßlich ebenfalls Leute aus Norfolk, nicht Freunde seiner eigenen Familie, denn das Ziel dieser Maßnahmen war offensichtlich, der Welt zu beweisen, dass er nichts zu verbergen hatte und im Gegenteil sein Möglichstes tat, um die Wahrheit über Amys Tod ans Licht zu bringen. Ich wünschte nur, das liefe nicht darauf hinaus, dass ich mich mit Menschen herumschlagen musste, die um Amy trauerten, im Gegensatz zum hiesigen Haushalt aber keinen Grund hatten, sich zurückzuhalten, und daher mit Sicherheit Robin und wahrscheinlich auch mir als seinem Mann die Schuld an dem Unglück geben würden.
Wenn ich John Appleyard wäre, dann würde ich ohnehin mit so viel Gold kommen, wie ich zur Verfügung hatte, und es in Cumnor wie in Abingdon verteilen, um sicherzustellen, dass die Geschworenen Amys Tod für einen Mord und Robin für den Schuldigen befänden. Dadurch würden für ihn zwei Fliegen mit einer einzigen Klappe erschlagen: Welchen Kummer Robin Amy auch bereitet hatte, sie wäre gerächt – und als ihr nächster Verwandter würde Appleyard ihren Besitz erben, wenn Amys Gatte des Mordes an ihr überführt wurde.
Das war kein Gedanke, um einen auch nur einigermaßen vernünftig schlafen zu lassen, und wenn ich nicht daran dachte, dann dachte ich an das Höllenfeuer, in dem Amy brannte, wenn sie nicht durch einen Unfall oder Mord zu Tode gekommen war. Und daran, dass die Laken des Bettes noch nach ihr rochen, und dass ich wünschte, ich wüsste das nicht so genau zu beurteilen.
Frobisher schien nichts auf der Seele zu liegen. Er schnarchte leise; ich hörte ihn durch die dichten Vorhänge, die das große Ehrenbett umgaben. Ich wusste, wie unbequem die kleinen Betten waren, auf denen ich selbst oft genug genächtigt hatte, und beneidete ihn trotzdem. Wenn der verfluchte Kerl sich nicht an meine Fersen geheftet hätte, dann könnte ich wenigstens dem vertrauten Duft entkommen, der sich einmal mehr an meine Haut heftete wie ein vorwurfsvoller Kuss.
Ich versuchte, mich abzulenken, indem ich in Gedanken die Namen aller Abgeordneten durchging, die ich kannte, und ihrer Patrone bei Hof. Im Kopf dergleichen Listen aufzustellen war das Nüchternste und Einschläferndste, das mir einfiel, und irgendwann tat es endlich seine Wirkung. Ich dämmerte in einen Halbschlaf hinein, in dem ich träumte. Es war kein guter Traum, aber wenigstens handelte er nicht von Amy und den Dudleys.
Mir war, als befände ich mich wieder hilflos in den Händen jenes Lehrers, den ich als Junge so gehasst hatte. Der Schutz von mehr als drei Jahrzehnten, die seither vergangen waren, wurde vom Schlaf weggerissen, und ich war wieder ein Kind, dessen Hände von den Schlägen des Rohrstocks aufgeschwollen waren, das die blutigen Striemen auf seinem Rücken und, noch demütigender, auf dem Hintern spürte.
Blount, zischte die verhasste Stimme, die ich durch all die Jahre nie vergessen hatte, Blount, du hast schon wieder das Wesentliche übersehen. Was hat er gesagt?
Wer, Sir?, fragte ich in meinem Traum, und meine Stimme war nicht die eines Mannes, sondern die eines Kindes. Bitte, Sir, ich weiß nicht, wen Ihr meint.
Der Knecht, du Tölpel, gab mein Lehrer zurück. Wenn du nicht lernst, auf den Knecht zu hören, wie willst du verstehen, was sein Herr gesagt hat? Und wieder zischte sein Rohrstock nieder, zerschnitt die Luft und …
Ich schrak auf; Schweiß lief mir den Rücken hinunter, nicht Blut, und das Schnarchen in dem Raum, in dem ich mich befand, stammte nicht von einem der anderen Jungen aus Kidderminster, sondern von dem Gaukler Frobisher. Aber es dauerte eine Weile, bis mein Herzschlag sich wieder beruhigte. Mir wurde etwas bewusst, und es war nicht, dass der alte Dreckskerl, der schon längst unter der Erde lag, mich noch immer verfolgte.
Dem schwachen Licht nach zu urteilen, welches durch das Fenster fiel, musste es gegen Morgengrauen sein. Ich setzte mich auf, erhob
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