Im Schatten der Leidenschaft
abend haben sie noch Sixpence gekostet.«
»Na und?« sagte Chloe mit dringlichem Flüstern. »Es ist unfair, sie herunterzuhandeln. Wie würde es dir gefallen, jede Nacht eine solche Arbeit zu machen?«
Denis starrte sie im flackernden Licht der Laternen an. Ihre Augen wirkten jetzt beinahe lila, ihr Mund bildete eine harte Linie. Er hatte noch nie einen solchen Gedanken gehört, und im Augenblick fiel ihm keine passende Antwort ein.
»Chloe hat recht...«, erklärte Julian und wühlte in seinen Taschen. »Wirklich recht. Hat sie doch immer, oder etwa nicht?«
Chloe lachte fast über die tolpatschige Art, mit der er seine Taschen durchsuchte. »Habe ich nicht immer, besonders nicht bei solchen Dingen.«
»Hier.« Denis zog zwei Schillinge aus seiner Tasche und ließ die Münzen auf die umgedrehte Schachtel neben der Frau fallen. Sie warf einen kurzen Seitenblick auf ihre Bezahlung, nickte nur kurz und fuhr gleichzeitig mit ihrer Arbeit fort.
Chloe jedoch bewies mehr Dankbarkeit. Sie drückte ihm die Hand. »Danke, das war großzügig. Stell dir nur vor, wie groß der Unterschied für sie ist.«
Denis lächelte sie mißbilligend an, so daß seine Genugtuung nicht sichtbar wurde.
»Bier«, sagte Frank plötzlich. »Ihr holt die Austern und ich das Bier.« Er machte sich mit unsicherem Gang auf den Weg zu einem etwas abseits stehenden Wagen.
»Ich glaube nicht, daß er noch Bier braucht«, bemerkte Chloe mit einer Grimasse.
Plötzlich schob ihr die Frau eine Platte mit Austern entgegen, und sie nahm sie mit einem freundlichen Lächeln. Das Lächeln blieb unbemerkt, oder zumindest ohne Reaktion, und die Frau machte sich sofort daran, das nächste Dutzend aus den Schalen zu lösen.
Chloe schlürfte den köstlichen Inhalt der Schalen und genoß das weiche Gleiten in der Kehle, als die salzigen Austern über ihre Zunge rutschten und sie sie hinunterschluckte, begeistert von dem klaren Meeresgeschmack.
»Noch mehr?« Denis bot ihr die zweite Platte an, aber sie schüttelte lächelnd den Kopf.
»Nein, ich werde nicht noch deine essen. Aber sie schmecken wirklich köstlich.«
Frank erschien wieder mit vier Blechkrügen, die er an den Griffen hielt. Der Inhalt schwappte bei seinen schwankenden Bewegungen über den Rand. »Erfolg«, erklärte er mit einem strahlenden Lächeln der Selbstzufriedenheit. Er gab jedem einen Krug und stürzte sich auf seine Platte mit Austern.
Julian hatte es sich auf dem Kopfsteinpflaster bequem gemacht und lehnte sich mit halbgeschlossenen Augen an eine Holzkiste. Er richtete sich gerade so weit auf, daß er das Bier entgegennehmen konnte, das er kurzfristig hinuntergoß, um dann auch seine Platte mit Austern zu leeren.
»Hättest du Lust, ein wenig auf dem Markt spazierenzugehen, Chloe?« schlug Denis vor. »Das macht dir bestimmt Spaß.«
Chloe schauderte. Die kurze Jacke war nicht besonders windfest, und plötzlich hatte das Abenteuer seinen wesentlichen Reiz verloren. »Mir ist kalt, und ich glaube, Frank und Julian gehören ins Bett.«
»Dann wollen wir gehen«, sagte er sofort. »Kommt.« Er zupfte an Franks Ärmel. »Außer ihr wollt, daß wir euch hierlassen.«
Brummend folgten ihnen die beiden, als sie den Fischmarkt verließen. »An der Ecke da vorn finden wir sicher eine Kutsche«, sagte Denis. Er zog seinen Rock aus feinem, olivfarbenen Wollstoff aus und hängte ihn um Chloes Schultern. »Ich hätte daran denken sollen, auch einen Mantel mitzubringen.«
Chloe lächelte zu ihm auf und kuschelte sich in den warmen
Stoff. »Ich hatte auch nicht daran gedacht, daß es kalt sein könnte. Bist du sicher, daß es dir nichts ausmacht?«
»Ganz sicher.« Er verbeugte sich galant.
Sie hatten kaum die nächste Straßenecke erreicht, als eine schwankende Laterne vor ihnen erschien und Frank rief: »Der Nachtwächter ... ich sehe den Nachtwächter. Der soll mal was tun für sein Geld.«
Er und Julian rannten auf den Mann mit der Laterne an einem langen Stab zu.
»Was haben sie vor?« Chloe blieb stehen.
»Kindisches Spiel«, sagte Denis. »Sie wollen ihn ein bißchen ärgern.«
Julian zog dem Nachtwächter den Hut über die Augen, und Frank blies seine Laterne aus, griff sich den Stab und versuchte, ihn dem Wächter zu entreißen. Der Mann stieß einen zornigen Schrei aus und drehte sich im Kreis, wobei er gleichzeitig versuchte, seinen Hut wieder hochzuschieben und die Laterne nicht loszulassen.
»Oh, hört doch auf!« rief Chloe und lief schnell zu ihnen. »Laßt den
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