Im Schatten der Leidenschaft
besuchte im allgemeinen auch nicht mehr die Veranstaltungen, zu denen sein Mündel eingeladen war. Bei den seltenen Gelegenheiten, wo er es doch tat, sah man ihn ständig in der Gesellschaft irgendeiner eleganten Dame seines Alters. Chloe hatte den Eindruck, daß er sein eigenes Leben entwickelt hatte, aus dem sie völlig ausgeschlossen war. In ihrer Verwirrung und Verzweiflung flirtete sie noch provozierender mit Denis. Und dieser kam ihr mit einem Eifer entgegen, der schon bald alle möglichen Gerüchte in Umlauf brachte und dazu führte, daß in den Clubs gewettet wurde, wie lange es noch dauern würde, bis DeLacy die schöne Erbin zum Traualtar führte.
Den Fortschritt dieser Angelegenheit beobachteten auch zwei Männer, die in einem diskreten Gasthaus am Stadtrand wohnten, mit unverhohlenem Interesse.
»Warum handeln wir nicht jetzt?« Crispin ging in ihrem Appartement auf und ab. Graues Licht füllte den Raum, weil draußen dichter Schnee fiel.
»Geduld«, riet sein Stiefvater und streute Muskat über den Inhalt einer silbernen Schüssel mit Punsch. Er tauchte den Schöpfer in die Schüssel und kostete den Punsch mit kritisch gerunzelter Stirn, dann griff er nach einer Untertasse mit Zitronenschnitzen und fügte ein paar dem Gebräu zu.
»Aber warum?« wollte Crispin wissen und starrte auf die Straße hinab. Ein Wagen mit Bierfässern war in einer Schneewehe steckengeblieben, und eine ganze Gruppe von Leuten hatte sich darum versammelt. Sie gaben dem Fahrer Ratschläge, der mit der Peitsche auf das Pferd einschlug und so laut fluchte, daß es bis zu dem Beobachter im oberen Stockwerk hinaufdrang.
»Weil es nicht sehr klug ist, im Schneesturm die Fahrt nach Lancashire zu machen«, fuhr ihn Jasper an. »Warum gebrauchst du nicht deinen Kopf, Mann.«
»Wir könnten sie doch hierbehalten. Hierher können wir sie leichter bekommen als nach Shipton. Wir könnten auch hier heiraten.« Crispin klang dumpf. Es war hart, im Hintergrund zu bleiben, während Denis DeLacy das ganze Vergnügen hatte und er ungeduldig darauf wartete, daß er selbst die Mitte der Bühne einnehmen durfte.
»Manchmal denke ich wirklich, dein Hirn ist genauso leer wie das von deiner Mutter«, erklärte Jasper und schöpfte Punsch in zwei Pokale. »Hier, trink das, vielleicht schärft das etwas deinen Verstand.« Er hielt ihm einen Pokal hin.
Crispin nahm ihn und wurde rot bei dem vorwurfsvollen Ton seines Vaters.
»Und was würdest du vorschlagen, wo wir das Mädchen einsperren sollen?« fuhr Japser in demselben Ton fort. »Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, daß sich meine kleine Schwester friedlich in einem der Zimmer des Gasthauses unterbringen läßt und darauf wartet, bis wir einen Pfarrer geholt haben. Ach ja, und was glaubst du, wo du in London einen Pfarrer findest, der sie gegen ihren Willen verheiratet? Und du kannst sicher sein, daß sie Zeter und Mordio schreit, egal wie ich meine Überredungskünste bemühe. Und ich werde mich sehr bemühen«, fügte er mit böse hochgezogener Lippe hinzu. »Das wird keine stille Angelegenheit.«
»Du kannst ihr doch irgendwas geben, damit sie still ist«, stellte Crispin immer noch ärgerlich fest.
»Ja, und das werden wir für unterwegs brauchen«, erwiderte Jasper. »Ich habe nicht die Absicht, neben einem sich wehrenden Mädchen eine Woche lang in der Enge einer Kutsche zu sitzen. Wir bleiben bei meinem Plan: Denis bringt sie nach Finchley, wo wir sie in die Kutsche setzen, und dann fahren wir alle nach Shipton. Dort, mein ungeduldiger, gieriger Sohn, wird der alte Elgar aus der Pfarrei Edgecombe sicher tun, was ich will. Er würde dich mit einem Schaf verheiraten, wenn ich es ihm befehle. Und du wirst deine Hochzeitsnacht in der Krypta verbringen.
»Und was ist mit Denis?«
»Er wird seine Belohnung bekommen, aber mach dir keine Sorgen, niemand wird dir deine ehelichen Rechte streitig machen.«
Jasper trank einen großen Schluck Punsch und genoß die Wärme im Bauch. Sein Vater war wegen Chloes Mutter und Hugo Lattimer gestorben. Er hatte vierzehn Jahre auf seine Rache gewartet und würde sie nicht zunichte machen, weil dieser Kerl zu ungeduldig war und nur mit dem Unterleib dachte. Er wollte, daß Lattimer nicht mehr als einen Tag nach ihnen zu seiner Verfolgung aufbrach. Ein Tag reichte, um die Heirat über die Bühne zu bringen und die Szene in der Krypta vorzubereiten. Es würde haargenau die Szenerie von Elizabeths Präsentation sein, doch diesmal würde Lattimer nicht
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