Im Schatten der Leidenschaft
Wochen lang als die letzte Nacht erinnerte, in der sie sich ohne Einschränkungen liebten.
Denis DeLacy schien überall gleichzeitig zu sein. Ständig hörte man seine Stimme in dem Haus an der Mount Street, und wo immer Chloe war, war Denis dabei.
Hugo wußte nicht so recht, was er aus der zunehmend intensiver werdenden Beziehung machen sollte. Chloe schien zuerst seine Andeutungen nicht zu verstehen und nahm auch seine schließlich deutliche Erklärung nicht ernst, daß sie sich besser weniger einseitig orientieren sollte, wenn sie nicht wolle, daß die Leute anfingen, zu reden. Immerhin waren sie sich darüber einig, daß Denis sich sehr gut zum Ehemann eignete: Er war reich genug, hatte gute Beziehungen, war klug und unverkrampft und würde vermutlich auch das finanzielle Arrangement akzeptieren, das sie sich vorstellte. Aber jedesmal, wenn ihr Vormund sie drängen wollte, deutlich zu sagen, ob sie Denis nun heiraten wolle oder nicht, wich sie ihm geschickt aus.
Doch nicht nur weil Chloe sich damit zum Stadtgespräch machte, konnte Hugo sich mit dem Gedanken an die wachsende Nähe zu DeLacy nicht anfreunden. Jedesmal wenn er Chloes Lachen hörte und sah, wie sie Denis’ Ärmel mit jener zarten Geste streifte, die er in seinem Verhältnis zu ihr kennengelernt hatte, sträubte sich alles in ihm.
War er eifersüchtig auf Denis DeLacy? Natürlich.
Diese Erkenntnis war bitter und unangenehm, aber nicht abzustreiten. Mit vierunddreißig Jahren hatte er sich irrsinnigerweise in eine wunderschöne Siebzehnjährige verliebt, eine Unschuld, die klares Interesse an einem Mann in ihrem eigenen Alter zeigte - der auch noch eine hervorragende Partie war, wie er selbst ihr schon oft genug nahegelegt hatte.
Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich völlig aus der Sache zurückzuziehen. In ihrer beider Sinne. Denn so lange ihre Beziehung so innig blieb wie jetzt, mußte er notwendigerweise Denis in seinem weiteren Bestreben im Weg sein. Vielleicht war es auch das, was Chloe daran hinderte, sich endgültig zu entscheiden. Und nur indem er sich völlig von Chloe loslöste, würde er so etwas wie inneren Frieden finden. Er würde nicht die Vergangenheit wiederholen. Er würde sich nicht wieder von einer hoffnungslosen Liebe verschlingen lassen.
Ohne große Freude, aber energisch machte er sich daran, seinen Bekanntenkreis zu erweitern. Nacht um Nacht war er unterwegs, bis Chloe schließlich eingeschlafen war. Tagsüber hielt er sich in Jacksons Boxsalon oder bei Mantons Schießclub oder in Angelos Fechtstudio auf, wo er sich sportlich betätigte wie viele andere Männer, die genausowenig Interesse an den Spielclubs der feinen Gesellschaft hatten. Dabei wurde er jeden Tag kräftiger und finsterer.
Samuel beobachtete ihn, verstand, was geschah, und wartete ab, was wohl dabei herauskommen würde. Er sah nicht nur Hugos unglückliche Stimmung, sondern auch Chloes verwirrtes Elend unter der strahlenden Fassade, die sie nach außen zeigte. Er hörte, wie bemüht ihr Lachen klang, sah, wie zerbrechlich ihr Lächeln war und die Sehnsucht in ihren Augen, wenn ihr Blick Hugo folgte, wann immer er in der Nähe war.
Samuel ließ sich nicht durch ihren Flirt mit Denis DeLacy täuschen und konnte nicht verstehen, warum es Hugo anders zu gehen schien. In diesen Tagen, die wie eine seltsame Imitation vergangener schlechter Zeiten schienen, horchte er auf den Klang des Klaviers in der Bibliothek. Aber es war Chloe, die spielte und die Musik benutzte, um ihren Kummer in einer Weise zum Ausdruck zu bringen, wie es mit Worten nicht möglich war, und Samuel lernte, ihre Stimmung aus der Musik herauszuhören, die sie spielte, wie er es bei Hugo auch getan hatte.
Chloe konnte nicht verstehen, warum ihre Taktik plötzlich nicht mehr funktionierte. Eine ganze Weile lang hatte es wirklich so ausgesehen, als störte Hugo ihr Flirt mit Denis. Einmal war er sogar so verärgert gewesen, daß er ihr verboten hatte, mehr als einmal am Abend mit ihm zu tanzen. Sie hatte dieser Auflage trotzig zuwidergehandelt in der Hoffnung, es würde zur offenen Konfrontation und danach zu einer langen, aufregenden Nacht kommen, doch Hugo hatte das Thema plötzlich fallengelassen, als wäre es nicht mehr interessant für ihn. Einmal hatte er sie gefragt, ob sie die Absicht habe, Denis zu heiraten, und sie hatte den Eindruck gehabt, als interessierte ihn die Antwort wirklich. Doch jetzt schien er es nicht mehr zu bemerken, wenn sie in Denis’ Begleitung war, und er
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