Im Schatten der Leidenschaft
die stahlharten Hände, die ihm beinah das Leben ausgedrückt hatten. »Und ich kann dir versprechen, Miss Gresham, daß du alles bekommen wirst, was du verdienst.«
»Ich bezweifle deine Absicht bestimmt nicht, Crispin«, sagte sie kühl von der Tür aus und nippte an ihrem Wein. »Aber vergib mir, wenn ich deine Möglichkeiten bezweifle.«
Crispin sprang auf. Sie blieb eisern stehen, weil sie wußte, wenn sie völlig still war und sich unterwarf, würde sie den Willen verlieren, durchzuhalten. Und wenn die Zeit kam, wo sie wirklich durchhalten mußte, würde sie jedes bißchen Willen brauchen.
Er packte ihre Schultern und drückte seinen Mund auf den ihren, so daß ihre Lippen gewaltsam auf ihre Zähne gedrückt wurden. Sie versuchte, den Kopf wegzudrehen, genug Platz zwischen ihren Körpern zu schaffen, daß sie ein Knie hochziehen konnte.
Dann ließ er sie plötzlich los und schaute mit einem Schafsblick zur Tür, in der sein Stiefvater erschienen war. Chloe schnappte nach Luft, ihre Lippen brannten, jeder Zentimeter ihres Körpers pulsierte vor Widerwillen.
»Sie ist frech«, erklärte Crispin mit einer Stimme, die Chloe an einen Schuljungen erinnerte, der sich eine Ausrede ausdachte, um nicht bestraft zu werden.
»Ach wirklich«, sagte Jasper und hielt sein Weinglas zum Licht, als wolle er den Inhalt untersuchen.
»Wer frech ist, bekommt kein Abendessen«, murmelte er desinteressiert. »Aber du wirst Disziplinarmaßnahmen in Zukunft mir überlassen. Ist das klar?«
Crispin wurde rot. »Ja, Sir.«
»Dann wollen wir zum Essen gehen ... auch diejenigen, die nicht daran teilnehmen werden.« Er nahm Chloes Arm und schob sie vor sich her über den Flur ins Eßzimmer. »Setz dich.« Er zog ihr in der Pose des Kavaliers einen Stuhl heran.
Die versprochene Hammelschulter gab die verlockendsten Düfte von sich und erfüllte die Luft mit dem Duft von frischem Rosmarin. Das Pilzkompott und die Schüssel mit der Sauce sowie eine Schale mit gebackenen Kartoffeln standen in der Mitte des Tisches, das Fleisch auf der Anrichte.
Es war schon nach neun Uhr, und Chloe hatte seit dem Mittag nichts mehr gegessen. Es ist hart, kein Abendessen zu bekommen, dachte sie, während sie mit den Tränen des Zorns und der Enttäuschung rang. Und noch härter, dabeisitzen und zuschauen zu müssen, während die anderen aßen. Die quälenden Düfte brachten ihren Speichel zum Fließen, und der Magen schien ihren ganzen Bauch auszufüllen.
Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, schloß die Augen, faltete die Hände im Schoß und zog sich im Geiste aus dem Eßzimmer und der Gesellschaft ihrer Entführer zurück. Das gelang ihr nicht vollständig, doch wenigstens kamen die Männer nicht in den Genuß, ihr spürbar Unbehagen zu bereiten.
Und schließlich war auch diese Prüfung vorüber. Wieder im Schlafzimmer angekommen, schloß Jasper beide Türen ab und steckte die Schlüssel in die Tasche. Chloe zog sich hinter dem Wandschirm das Nachthemd an. Als sie wieder hervorkam, stand Jasper am Feuer. Er hatte seine Stiefel ausgezogen und knöpfte gerade sein Hemd auf. Dann warf er es zur Seite und ging zum Bett.
Chloe starrte seine Brust an ... die kleine, zusammengerollte Schlange, die über seinem Herzen in seine Haut tätowiert war.
»Was zum Teufel ist denn mit dir los?« wollte Jasper angesichts ihres erstarrten Gesichtsausdrucks wissen. »Ich vermute, du hast bisher noch nie einen Mann ohne Hemd gesehen. Nun, mach dir keine Sorgen, kleine Schwester, meine Brust stellt keine Gefahr für dich dar.«
»Diese -« sagte Chloe und ihre Stimme klang gepreßt. Sie zeigte auf das Bild. »Diese ... diese Schlange ... Hugo ...«
»Was?« Jasper brach plötzlich in Lachen aus. »Oh, also hast du deinen geschätzten Vormund schon in ähnlich unbekleidetem Zustand gesehen, wie? Eigentlich ist es ja kein Wunder, daß dieser betrunkene Kerl selbst die Grundregeln der Schicklichkeit mißachtet.«
»Nennt ihn nicht so!« sagte Chloe finster. »Das ist er gar nicht.«
»Was für eine engagierte Verteidigung.« Jaspers Stimme klang plötzlich ganz leise, und seine Augen wurden schmal. »Nun, was mag denn Lattimer wohl getan haben, um einen so vehementen Einsatz zu verdienen?«
»Er war nett zu mir«, stellte Chloe fest und wünschte, sie würde nicht erröten und nichts durch ihren Gesichtsausdruck verraten. Mit hastigen Worten fragte sie: »Aber warum habt ihr denn beide diese Schlange auf der Brust?«
»Aha, dann hat Hugo es also nicht für
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