Im Schatten der Leidenschaft
angemessen gehalten, dich in sein kleines Geheimnis einzuweihen«, meinte ihr Bruder bedächtig. Er deutete auf das Bett. »Hinein mit dir.«
»Werden wir das Bett t-teilen?«
»Du wirst unter der Decke schlafen, ich darauf«, sagte Jasper ungeduldig. »Also, mach schon.«
Chloe schlüpfte zwischen die Laken und lag dann regungslos
da.
Jasper legte sich neben sie auf die Decke. »Gib mir dein Handgelenk.« Er hatte seinen Gürtel in der Hand und befestigte ganz ruhig das eine Ende um Chloes Handgelenk, das andere um das seine.
»Und jetzt«, sagte er leise, »werde ich dir eine Geschichte erzählen, kleine Schwester. Eine Gutenachtgeschichte ...«
KAPITEL 25
Als Jaspers Bote am nächsten Morgen um acht Uhr in der Mount Street ankamen, waren Hugo und Samuel schon seit vier Stunden unterwegs. Der Brief mit der scheinbar harmlosen Information, daß Chloe sicher unter der Aufsicht ihres Bruders und auf dem Weg nach Shipton sei, lag auf dem Tisch in der Halle und würde Hugo bei der Rückkehr erwarten. Jasper überließ nichts dem Zufall. Er wollte, daß Hugo Chloe zur Krypta folgte, und wenn der Alkohol seinem Gehirn schon so sehr zugesetzt haben sollte, daß er nicht mehr zwei und zwei zusammenzählen konnte, würde ihm der Entführer seines Mündels dabei doch lieber auf die Sprünge helfen.
Chloe hatte fast nichts gesagt, seit sie desorientiert zur kalten Morgendämmerung wachgeworden war. Ein paar Sekunden lang wußte sie einfach nicht, wo sie war. Ihr Arm war seltsam ausgestreckt und sie versuchte, ihn zurückzuziehen. Irgend etwas zog sich um ihr Handgelenk zusammen. Da fiel ihr alles wieder ein. Sie drehte den Kopf auf dem Kopfkissen. Jasper neben ihr schien zu schlafen, aber der Gürtel war mehrmals um sein Handgelenk gewickelt und das Ende lag fest in seiner geballten Faust.
Da lag sie wieder still und erinnerte sich an alles, was er ihr am vergangenen Abend erzählt hatte. Jetzt kannte sie das Geheimnis von Hugos Dämonen. Warum hatte er ihr nicht selbst von der Rolle erzählt, die er in ihrem Leben schon gespielt hatte ... wie tief er in die Wirren verstrickt war, die ihre einsame Kindheit ausmachten. Hatte er ihr nicht genug vertraut? Aber sie kannte natürlich die wahre Antwort. Er hatte sie nicht genug geliebt, um ihr auch von der Seele her zu vertrauen.
Die Art und Weise, wie ihr Vater ums Leben gekommen war, bereitete ihr nicht allzu viel Kummer. Nach Jaspers Schilderungen von den Aktivitäten der Bruderschaft zu schließen, war Stephen Greshams Tod kein allzu großer Verlust für die Welt gewe-sen. Sie dachte mehr an ihre Mutter ... daß Hugo ihr nicht gesagt hatte, daß er ihre Mutter mit einer so tiefen Verehrung geliebt hatte, daß er sogar bereit gewesen war, sein Leben für sie aufs Spiel zu setzen. Wenn er ihr alles erzählt hätte, alles über ihren Vater - was er für ein Mann gewesen war - dann hätte sie verstehen können, warum ihre Mutter sich so von der Welt zurückgezogen hatte. Sie hätte endlich verstanden, warum Elizabeth ihre Tochter abzulehnen schien. Es hätte einen Grund gegeben für die bittere Einsamkeit, die Chloe während ihrer Kindheit durch ihre uninteressierten Betreuerinnen erfahren hatte, und sie hätte die Annahme aufgeben können, daß an ihr selbst etwas nicht in Ordnung gewesen sein mußte, was ihre Mutter daran gehindert hatte, sie als brauchbare Gesellschafterin zu empfinden.
Aber er hatte sie nicht gern genug gehabt, um das zu sehen.
Und jetzt war das auch alles unwichtig. Wenn sie erst mit Crispin verheiratet war, würde alles unerheblich sein. Und Jasper würde dafür sorgen, daß es dazu kam, wenn sie nicht entkommen konnte. Aber sie fühlte sich klein und machtlos und wußte, daß sie es auch war im Angesicht der vereinten Kräfte ihres Bruders, seines Stiefsohns und DeLacys.
Es war ihr schlecht vor Hunger, und sie wollte dringend das Nachtgeschirr aufsuchen, also zog sie vorsichtig an dem Gürtel in der Hoffnung, Jasper wecken zu können, ohne daß er annahm, sie versuche zu fliehen. Sie hatte nicht die Absicht, irgend etwas zu tun oder zu sagen, was sie womöglich das Frühstück kosten konnte.
Jasper setzte sich in einer kurzen Bewegung auf. Er war nicht desorientiert. »Was zum Teufel tust du da eigentlich?«
»Es tut mir leid, daß ich dich wecke, aber es ist dringend«, sagte sie verschüchtert.
Er sah auf die Uhr. »Es ist sowieso Zeit zur Weiterfahrt.« Er löste den Gürtel von ihrem Handgelenk. »Beeil dich und zieh dich an.«
Eine
Weitere Kostenlose Bücher