Im Schatten der Leidenschaft
Stange. »Wenn die Pferde gefüttert sind, reiten wir weiter.« Er machte sich über sein Steak her.
»Wahrscheinlich holen wir sie gegen Abend ein«, sagte Samuel leise, da der Wirt noch in der Nähe war. »Wenn wir in ein paar Stunden die Pferde wechseln, kommen wir viel schneller vorwärts als eine Kutsche.«
»Das stimmt. Nur will ich sie gar nicht einholen«, sagte Hugo.
»Ach ja?«
»Ich will sie überhaupt nicht einholen«, sagte Hugo langsam. »Es ist an der Zeit, diese Geschichte zu Ende zu bringen, Samuel. Jasper und ich haben da noch eine seit langem ausstehende Auseinandersetzung vor uns.« Seine Stimme war ruhig, und er sprach ohne besonderen Nachdruck, aber sein Begleiter spürte seine eiskalte innere Überzeugung, die Kraft seiner Entschlossenheit, und begriff, daß dies das letzte war, was Hugo noch brauchte, um wieder ganz zu seinen ursprünglichen Kräften zurückfinden zu können.
»Und Sie haben keine Angst um das Mädel?«
»Ich weiß, was sie mit ihr Vorhaben«, erwiderte Hugo mit schmalen Lippen. »Bis dahin werden sie ihr nichts tun.«
Den ganzen Weg bis nach Shipton blieben sie auf der Spur der Kutsche. Trotz Hugos offensichtlicher Überzeugung, daß Chloe nicht in direkter Gefahr sei, bemerkte Samuel doch, wie angespannt sein Gesicht wirkte, wenn er auf jeder Station ihrer Strecke immer wieder die gleichen Fragen stellte: Hatte die junge Frau wohlbehalten ausgesehen?
Die Antwort blieb ähnlich: ruhig und reisemüde, aber nicht auffällig.
Als sie in Lancashire ankamen, hatte die Luft wieder ihre gewohnte herbe Klarheit, das Moor erstreckte sich zu beiden Seiten der Landstraße, wenn auch das kahle Winterbraun unter einer glitzernden Schneedecke lag.
Samuel entspannte sich erkennbar mit der vertrauteren Umgebung. Er hob das Kinn weiter aus dem warmen Umhang, und sein Körper bewegte sich harmonischer auf dem Pferd. Hugo dagegen war gespannt wie eine Bogensehne. Er schnupperte, und seine Blicke schweiften ruhelos hin und her, als wäre er auf der Jagd.
Sie waren immer zwei Stunden hinter ihrer Beute geblieben und hatten in benachbarten Gasthäusern übernachtet, so daß
Hugo das Gefühl hatte, Chloe so nah zu sein, daß seine Unruhe sich in Grenzen hielt. Zu wissen, daß er nur seinem Pferd die Sporen zu geben brauchte, um sie bald zu erreichen, half ihm, einen klaren Kopf zu behalten und seinen Plan noch zu verbessern.
Am Nachmittag des siebten Tages erreichten sie um vier Uhr die Abzweigung nach Shipton auf der Straße von Manchester. Hugo ritt in Richtung Denholm Manor weiter.
»Ich dachte, wir reiten nach Shipton«, stellte Samuel fest.
»Morgen«, war die kurze Antwort. Morgen abend war Freitag. Und nur an Freitagen wurde die Krypta benutzt. Jasper würde nicht noch eine Woche warten. Er würde annehmen, daß Hugo irgendwann den wahren Sachverhalt erkennen würde, und mußte dafür sorgen, daß Chloe schon unwiderruflich an Crispin gebunden war, so daß ihm niemand mehr in die Quere kommen konnte.
Die Kutsche hielt auf dem Kies vor Gresham Hill. Die unbewegliche Gestalt in der Ecke des Wagens spürte die plötzliche Energie, die die drei Männer erfüllte. Die Angst drohte sie zu überwältigen. Es hatte keine Gelegenheiten zur Flucht gegeben. Chloe war ständig bewacht gewesen und hatte nachts an ihren Bruder gefesselt geschlafen. Wenigstens war ihr so Crispin ferngeblieben, und es war ihr gelungen, weitere Strafen von seiten Jaspers zu entgehen.
Aber jetzt waren sie auf Jaspers Grund und Boden, umgeben von seinen Leuten. Es gab keine Fremden, die zu viel redeten, also mußte er sich nicht mehr zurückhalten.
Jasper sprang aus der Kutsche. »Raus!« sagte er zu Chloe.
Sie gehorchte. Crispin legte ihr unnötigerweise eine Hand ins Kreuz und schob sie, so daß sie die Stufen fast hinuntergefallen wäre. Jasper fing sie auf, und plötzlich wurde Chloe mit Schrecken klar, daß nur er zwischen ihr und Crispins ungebremster Grausamkeit stand. Jasper war böse, aber jede seiner Handlungen hatte ihren Sinn. Crispin hatte Freude daran, jemandem nur so Schmerz zuzufügen.
Sie war seit ihrer Kindheit nicht mehr in Gresham Hall gewesen, doch es wirkte so bedrückend wie eh und je, als sie die Eingangshalle betrat. Die Luft war dumpf. Auch wenn Denholm
Manor vernachlässigt und unordentlich war, hatte es sich anders angefühlt. Aber vielleicht war das nur ein Ausdruck ihrer Erfahrungen.
»Jasper...«
Eine fragende Stimme ertönte aus den Schatten hinter der Treppe, und Louise
Weitere Kostenlose Bücher