Im Schatten der Leidenschaft
so würde die Blutrache erfüllt. Wie das Jasper Freude machen würde, den Tod seines Vaters auf diese Weise zu rächen!
Eine Welle der Übelkeit stieg in ihm auf, ein plötzliches Gefühl von Hilflosigkeit... und dann kam die kalte Überzeugung, daß er, wenn nötig, Jasper töten würde, wie er auch Stephen getötet hatte.
Wenn sie Chloe in die Krypta brachten, würde er auch dort sein.
»Wir reiten nach Shipton«, sagte er leise zu dem wartenden Samuel.
»Shipton!« Samuel pfiff leise. »Also glauben Sie, daß ihr Bruder etwas mit dieser Sache zu tun hat?«
»Er steckt garantiert bis zu seinem schmutzigen Hals darin«, sagte Hugo leise. »Und ich werde ihm jeden seiner bösen Knochen brechen. Sie haben sechs Stunden Vorsprung. Wenn ich recht habe, konzentrieren sich Jaspers Pläne auf die Krypta.« Er sprach mehr zu sich selbst, während er seinen eiligen Schritt in Richtung Mount Street lenkte. »Crispin und der junge DeLacy sind sicher bei ihm.«
Sie würden ihr erst nach der Hochzeit etwas antun. Wenn nötig, würde Jasper Drogen einsetzen, damit sie unterwegs still war. Er würde es nicht riskieren, irgendwie die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zu ziehen, indem er sie sichtbar fesselte.
Beruhigt angesichts dieser Überzeugung sagte er knapp: »Das Mädel ist nicht kräftig genug, von London bis nach Shipton zu reiten. Also haben sie eine Kutsche genommen. Die Spur haben wir bestimmt bald.«
Jetzt hatten sie das Haus erreicht, und er rannte die Stufen hinauf. »Samuel, bist du bereit, mit mir zu reiten? Es ist eine lange Strecke, aber wir kommen schneller voran als in einer Kutsche.«
»Ich bin dabei«, brummte Samuel. »Brechen wir jetzt gleich auf?«
»Bei Tagesanbruch. Sie müssen über Nacht Halt machen. Und wenn wir die ganze Nacht reiten, müssen wir doch im Laufe des Tages eine Pause machen. Wir brechen beim ersten Morgengrauen auf und nehmen ihre Spur bei ihrer ersten Haltestation auf.«
Sie schienen schon seit Stunden in der schlechtgefederten Kutsche unterwegs zu sein. Die Dämmerung war dem Nachmittag gefolgt, und die Luft war noch kälter geworden. Seit längerer Zeit hatte niemand mehr etwas gesagt.
Chloe saß zusammengesunken in ihrer Ecke und spürte auf jedem Zentimeter mit unangenehmem Kribbeln, daß Crispin neben ihr saß. Gelegentlich drückte sich sein Schenkel fest gegen den ihren, und sie wußte, daß das kein Zufall war. Wie würde sie nur ertragen können, mit ihm verheiratet zu sein ... und ein Bett mit ihm zu teilen ... mit ihm zu tun, was sie mit Hugo getan hatte? Ihr wurde übel, und sie schluckte verzweifelt und hoffte, ihr
Körper würde nicht aufgeben. Mit gefesselten Händen fühlte sie sich sowieso schon völlig hilflos.
Sie zwang sich, klar zu denken, ihre Lage zu prüfen, und hoffte, daß ihre Panik nachlassen würde, wenn sie sich konzentrierte. Wenn sie sie zu dieser Ehe zwangen, was würde dann geschehen? Was würde Hugo tun? Konnte er überhaupt etwas tun? Es gab Menschen, die geschieden wurden. Der König versuchte, sich von Königin Caroline scheiden zu lassen, allerdings bisher ohne Erfolg. Aber es kam doch manchmal vor. Wahrscheinlich würde Crispin ihr Vermögen sowieso behalten, vielleicht würde er sich wenigstens danach wieder von ihr scheiden lassen.
Sein Schenkel drückte sich wieder gegen den ihren, und ihr wurde voller Elend klar, daß sie da einem rosa Traum nachhing. Crispin würde sie nicht gehen lassen, bevor er sie nicht ausgiebig genossen hatte. Und nicht einmal Hugo würde ihn dazu überreden können, etwas anderes zu tun.
Was mochte er wohl glauben, was mit ihr geschehen war? Es war schon Abend geworden. Würde er es erraten können? Aber wie sollte er? Wie sollte er auf den Gedanken kommen, daß es zwischen Denis und Jasper eine Verbindung gab? Er würde annehmen, daß sie einen Unfall gehabt hatte und irgendwo untergekommen war. Bei den schlechten Straßenverhältnissen war das nichts Ungewöhnliches nach dem vielen Schnee. Er würde auf eine Nachricht von ihr warten ... wie lange wohl, bevor er sich ernsthafte Sorgen machen würde?
»Ich spüre meine Hände nicht mehr«, sagte sie leise und eindringlich, während sie mit den Tränen kämpfte, entschlossen, ihnen vor den Augen ihrer Entführer nicht nachzugeben.
»Möchtest du, daß ich dir die Handgelenke losbinde?« fragte Jasper fast beiläufig, als reichte er ihr beim Essen einen Teller.
»Was denkst du denn?« sagte sie scharf.
Ihr Bruder lehnte sich nur in seinem Sitz
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