Im Schatten der Leidenschaft
trat zögernd in das schwache Licht des Nachmittags. »Chloe ... ich wußte nicht...«
»Sei nicht dumm, natürlich wußtest du«, sagte ihr Mann scharf und zog seine Handschuhe aus. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst das westliche Flügelzimmer bereit halten.«
»Ja ... aber ... aber du hast nicht gesagt, warum.« Louise rang die Hände und betrachtete dabei die bewegungslose Gestalt ihrer Schwägerin. »Chloe, Liebes ...« Sie streckte die Hände in einer lächerlichen Willkommensgeste aus.
»Louise.« Chloe neigte den Kopf zum kurzen Gruß. Jaspers Frau war immer unauffällig gewesen, weder gut noch schlecht. Und eine passive Helferin bei Bösem war genauso eine Feindin für sie.
»Du mußt dich von Denis verabschieden, kleine Schwester«, sagte Jasper spöttisch. »Bis zu deiner Hochzeitsnacht wirst du ihn nicht mehr Wiedersehen. Nach einer so engen Freundschaft denke ich, daß du dich von ihm in aller Höflichkeit verabschieden möchtest.«
Chloe machte sich nicht die Mühe, zu antworten, sondern sah Denis nur gerade in die Augen, in der Hoffnung, er könne darin lesen, wie abschätzig sie über ihn dachte. Er hatte wieder sein überlegenes Lächeln aufgesetzt, bei dem die kalte Angst wieder in ihr hochkroch, die sie dauernd so bemüht unter der Oberfläche zu halten versuchte.
»Crispin, bring sie nach oben und schließ sie ein.« Das war ein scharfer Befehl.
Jetzt sollte also Crispin zum Zuge kommen. Chloe schluckte schwer und richtete sich kerzengerade auf, als Crispin sie am Arm packte. »Ich brauche keine Hilfe«, sagte sie klar. »Ich kann die Treppe recht gut allein hochgehen.«
»Beweg dich.« Er drehte ihr den Arm hinter den Rücken, und sie biß sich auf die Lippen vor Schmerz, während sie ohne ein weiteres Wort vor ihm herging.
»Komm sofort wieder herunter«, sagte Jasper aus der Halle, als sie die Treppe schon halb hinaufgegangen waren, und sie spürte eine Welle von Erleichterung. Jasper hatte die Kontrolle noch nicht abgegeben.
Das westliche Flügelzimmer war ein enges Zimmer unter dem Dach mit einem schmutzigen, kleinen Fensterchen. Alle anderen Zimmer der Umgebung waren Rumpelkammern, und als Crispins Schritte den Flur hinunter verklangen, hörte Chloe keinerlei Lebenszeichen mehr.
In dem Zimmer stand ein Himmelbett, eine Kommode und ein Stuhl ohne Armlehnen. In dem Krug war kaltes Wasser, und unter dem Bett fand sie einen Nachttopf.
Also was nun? Sie setzte sich auf das Bett und wünschte, Dante wäre bei ihr. Sie hatte sich noch nie so einsam gefühlt wie jetzt. Selbst in der Verlassenheit ihrer Kinderzeit hatte es immer die Tiere gegeben ... immer jemanden, dem es noch schlechter ging als ihr. Jetzt war da nichts mehr.
Tränen rannen ihr über die Wangen, und eine Weile lang gab sie ihnen einfach nach. Dann hörte sie Schritte draußen im Flur. Hastig stand sie auf, spritzte sich Wasser ins Gesicht, setzte sich auf den Stuhl und sah zum Fenster, so daß die Spuren der Tränen von der Tür aus nicht gleich zu erkennen waren.
Es war Jasper in Begleitung eines Dieners, der den Koffer brachte, den sie auch während der Reise gebraucht hatte. Er ging sofort wieder und schloß die Tür hinter sich. Jasper schloß ab und sah dann seine Schwester einen Moment bewegungslos an.
»Louise wird dir Kleider zum Wechseln bringen«, sagte er. »Ansonsten hast du alles, was du brauchst.«
»Danke«, sagte sie und hörte selbst, wie lächerlich das klang.
»Ich will dir ein paar Sachen erklären.« Er kam zu ihrem Stuhl. »Steh auf.«
Chloe gehorchte. Was hatte sie schon für eine Wahl.
»Sieh mich an.«
Das war schon schwieriger. Er sollte ihre Tränen nicht sehen. Dann machte Jasper es ihr leichter. Er gab ihr wieder eine Ohrfeige, und jede Träne bekam eine Erklärung. Sie hob den Kopf und sah ihn an.
»Schon besser. Morgen abend wirst du Crispin heiraten -«
»Nein!« Sie zuckte zusammen, weil sie den nächsten Schlag erwartete, doch nichts geschah.
»Unterbrich mich nicht«, sagte er beinahe gelangweilt. »Also, wie gesagt, morgen abend wirst du Crispin heiraten. Danach wirst du in der Krypta vorgestellt genau wie deine Mutter. Was sie nicht getan hat, wirst du, ihre Tochter, wiedergutmachen. So ist es in der Bruderschaft üblich«, fügte er im Brustton der Überzeugung hinzu. »Wir lassen nichts unabgeschlossen, und ich habe schon fast fünfzehn Jahre darauf gewartet, meiner Verpflichtung nachkommen zu können. Danach ...« Er zuckte mit den Schultern. »Das soll Crispin
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