Im Schatten der Leidenschaft
wovon ich spreche.« Er wandte sich von ihr ab und griff nach der Brandyflasche und seinem Glas -dem allzeit bereiten Nothelfer. Er goß sich einen Schluck die Kehle hinunter und spürte die angenehme Wärme im Bauch. Seine zitternden Hände wurden stetiger. Er atmete tief ein und wandte sich wieder zu ihr um.
»Ein Kind. Das ist die Folge. Du könntest ein Kind empfangen. Der Inhalt des Glases wird dafür sorgen, daß es nicht dazu kommt.«
»Oh.« Ihr Gesicht wurde ernst. »Ich hätte daran denken sollen. Ich wollte nicht so dumm erscheinen.« Sie sprach klar und unbewegt. Dann schüttete sie den Inhalt des Glases hinunter, schloß kurz die Augen wegen des unangenehmen Geschmacks und schluckte. »Wirkt so etwas?«
»Ja.« Er ging zum Fenster.
Als er das erste Mal in der Krypta gewesen war, hatte er von dem Trank erfahren. Die Frau hatte ihn im kühlen, feuchten Morgenlicht darum gebeten, als die Euphorie der Halluzinationen der Nacht verblaßte. Er hatte nicht gewußt, wovon sie sprach, und sie hatte über seine Dummheit gelacht mit einem rauhen, unfreundlichen Lachen, das seine jugendliche Würde verletzt hatte. Sie hatte zu Stephen hinübergerufen, was geschehen war, und dann hatten sie zusammen über die Unerfahrenheit ihres jungen Liebhabers gelacht. Aber Stephen hatte ihn nicht verhöhnt. Er hatte ihn zu dem Schrank mit den ganzen eigentümlichen Drogen geführt. Er hatte ihm erklärt, wie man die Kräuter zur Empfängnisverhütung mischte, und ihn dann ein paar Tage später mit zur Hütte des Holzkohlenbrenners genommen, wo die Kräuterfrau ihre Waren verkaufte.
Hugo hatte zugehört, während Stephen und die alte Frau darüber sprachen, welche Vorräte aufgefrischt werden mußten. Er sah zu, wie Stephen in Gold für die Lederbeutel und Alabastergefäße mit Kräutern bezahlte. Beim nächsten Mal, als der Schrank aufgefüllt werden mußte, war Hugo selbst zu der Frau gegangen.
Die Kräuterfrau lebte immer noch in der Hütte des Kohlenbrenners. Sie erkannte Hugo selbst nach vierzehn Jahren noch, und in seinen Augen hatte sie sich kaum verändert. Vielleicht ein paar Fältchen mehr in ihrem welken Gesicht, und ihr grauweißes Haar war dünner und noch struppiger geworden. Aber ihr Blick war noch gleich scharf und ihre Preise gleich hoch.
Chloe stellte das leere Glas fort und ging zu Hugo hinüber, der aus dem Fenster starrte. Sie holte tief Luft und streckte über seine Schulter hinweg die Hand nach seinem Gesicht aus. »Hugo, ich -« Aber weiter kam sie nicht.
Er drehte sich heftig um und schlug ihre Hand mit einer Kraft zur Seite, die sie vor Schmerz aufschreien ließ. »Faß mich nicht an!« schimpfte er. »Faß mich nie mehr an, hast du verstanden?«
Sie sah in erschrecktem Schweigen zu ihm auf.
Er nahm sie an den Schultern und schüttelte sie kurz. »Hast du verstanden?«
»Aber warum ?« gelang es Chloe zu sagen.
»Warum!« rief er. »Du fragst, warum? Nach dem, was vergangene Nacht geschehen ist?«
»Aber ... mir hat es gefallen, es war schön, ich habe mich wunderbar gefühlt. Du darfst dich deswegen nicht schuldig fühlen.« Sie sprach mit eindringlichem Eifer, und ihre Augen leuchteten. »Es gibt keinen Grund, warum du dich deswegen schlecht fühlen solltest. Es gibt nichts zu bedauern-«
»Du unverschämte kleine Göre!« rief er. »Du besitzt die Dreistigkeit, mir vorzuschreiben, was ich bedauern soll und was nicht! Jetzt hör mir einmal gut zu!« Der schmerzhaft feste Griff an ihren Schultern ließ sie zusammenzucken, aber sie konnte sich nicht bewegen und den Blick nicht von seinen durchdringenden, grünen Augen abwenden, die sie ansahen.
»Was in der vergangenen Nacht geschehen ist, war eine Folge meiner Betrunkenheit. Wäre ich nüchtern gewesen, hätte das nicht passieren können. Glaubst du vielleicht, ich bin so verrückt, ein dummes Schulmädchen unwiderstehlich zu finden?« Ein weiteres, heftiges Schütteln betonte seine Frage.
»Ich wußte nicht, was ich tat.« Er sprach die grausamen Worte mit kalter Klarheit. »Und von jetzt ab wirst du mir fernbleiben, außer wenn ich dich rufe. Und ich schwöre beim Grab meiner Mutter, daß du den Tag, an dem du wieder versuchst, mich zu verführen, den Rest deines Lebens bereuen wirst.«
Er ließ sie plötzlich los und stieß sie von sich. »Und jetzt verschwinde.«
Chloe stolperte aus der Bibliothek, zu betäubt, um zu weinen. Sie schien nicht atmen zu können; es war, als wäre sie in einen eisigen See gefallen. So stand sie in der
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