Im Schatten der Leidenschaft
ihr...
Ach so! Chloe öffnete plötzlich die Augen, als sie zu verstehen begann. Nur weil sie sich nicht schuldig fühlte, bedeutete das noch nicht, daß Hugo sich ebenfalls nicht schuldig fühlte. Wahrscheinlich hatte er eine antiquierte Vorstellung davon, wie ein Vormund sich gegenüber seinem Mündel zu verhalten hatte. Immerhin hatte er auch seltsam auf ihren Vorschlag reagiert, ihr Vermögen zu ihrer beiden Nutzen einzusetzen. Vielleicht verstand er noch nicht, daß Chloe ihre eigenen Pläne für die Zukunft hatte und nicht wartend herumsitzen wollte, bis irgend etwas mit ihr geschah. Sie hatte in der vergangenen Nacht viel mehr zu dem Geschehen beigetragen als Hugo. Sie war verantwortlich. Absurder Gedanke, daß er sich schuldig fühlte.
Mit deutlich besserer Laune rutschte Chloe von ihrem Regenfaß und ging zum Stall, um nach Rosinante zu sehen. Die Mähre sah genauso jämmerlich aus wie vorher, trotz der warmen Kleiemischung und des Ballens Heu.
»Ich schätze, für den wäre eine Kugel das beste«, meinte Billy und schüttelte den Kopf.
»Möglich«, sagte Chloe. »Wenn es ihm in ein paar Tagen nicht besser geht, werde ich Sir Hugo bitten, ihn von seinem Leid zu erlösen.« Sie strich über seine mageren Rippen, und ihr Mund wurde schmal. »Aber es gibt jemanden, den ich gern mit einer Kugel bedenken würde!« Sie sah zu Billy auf und fragte beiläufig: »Weißt du übrigens, wo Sir Hugo hingeritten ist?«
Billy schüttelte den Kopf. »Ich sollte nur sein Pferd satteln.«
»Hat er gesagt, wie lange er fortbleiben würde?«
Wieder schüttelte Billy den Kopf. »Nö. Warum sollte er. Geht mich doch nichts an.«
»Stimmt auch wieder.« Chloe verließ nachdenklich den Stall. Es war wohl an ihr, die Sache in Ordnung zu bringen. Sie mußte nur einfach Hugo gut Zureden und ihm klarmachen, daß er nichts Falsches getan hatte. Vielleicht würde sie das am besten erreichen, indem sie dafür sorgte, daß es noch einmal geschah.
Bei diesem Gedanken machte sie einen Extrahüpfer über das Kopfsteinpflaster. Sie vermutete, daß die körperliche Liebe noch sehr viel mehr zu bieten hatte, als sie letzte Nacht erlebt hatte, und bei der Aussicht auf weitere Experimente in dieser Richtung spürte sie ein angenehmes Kribbeln den Rücken hinauf und hinunter.
In ihrem Schlafzimmer betrachtete sie die Kleider von Madame Letty, die in ihrem Schrank hingen. Sie war am Morgen nicht auf die Idee gekommen, daß sie etwas anderes als ihre Schulkleider anziehen könnte - die auch gut zu ihrem Gefühl beim Aufwachen gepaßt hatten -, doch jetzt schien die Sonne sie wieder zu erfüllen, da sie ihr weiteres Vorgehen plante. Dazu paßten die hübschen Musselinkleider ganz besonders gut... wenn auch nicht so dramatisch, wie es mit pfauenblauem Taft gewesen wäre.
Sie warf das braune Sergekleid zur Seite, zog sich das Musselinkleid mit den blauen Bändern über den Kopf und wand sich hin und her, um die Haken zu schließen, bevor sie die Schärpe umband. In ihrem Zimmer gab es keinen Spiegel, aber sie erinnerte sich daran, in einem der anderen Schlafzimmer einen gesehen zu haben. Also machte sie sich auf den Weg zu dem Spiegel, in einem der düsteren, staubigen, muffig riechenden Zimmer.
Sie zog die Vorhänge zur Seite, um das Licht hereinzulassen, und versuchte, den Spiegel vom Toilettentisch zu heben, um ihn in ihr Zimmer zu tragen, aber er war viel zu schwer. Also mußte sie sich stückweise begutachten und stellte sich auf einen Hocker, um sich von der Taille abwärts sehen zu können.
Die schweren Halbstiefel, die zu braunem Serge paßten, sahen zu dem hellen Musselin lächerlich aus, doch gestern hatten sie keine Zeit gehabt, noch einen Schuhmacher zu besuchen. Chloe schleuderte die Schuhe von den Füßen, zog die Strümpfe aus und wackelte im Spiegel mit den Zehen. Sie fand die Wirkung barfuß recht anziehend, wie ein Milchmädchen oder eine Schäferin. Es blieb nur zu hoffen, daß ihr Vormund pastorale Szenen interessant fand.
Dann betrachtete sie in dem staubigen Glas ihr Gesicht, leckte einen Finger feucht und ordnete damit ihre Augenbrauen zu glatten Bögen, experimentierte mit ihrem Haar, band es zunächst auf dem Oberkopf zu einem Knoten zusammen, dann im Nacken. Schließlich beschloß sie, daß es mehr zu ihrem pastoralen Aussehen paßte, wenn sie es lose um die Schultern fallen ließ, und sie ging zu ihrem Zimmer zurück und bürstete es, bis es golden glänzte.
Falstaff sah ihr mit schiefgelegtem Kopf zu, während
Weitere Kostenlose Bücher