Im Schatten der Leidenschaft
lang schweigend weiter und sagte dann: »Du hast immer Schmetterlingen die Flügel ausgerissen.«
Wieder ein wenig überzeugendes kleines Lachen. »Ach, komm schon, Chloe. So sind Jungs eben.«
»Ach wirklich?« meinte sie kurzangebunden.
»Nun, ich tue es inzwischen nicht mehr.«
»Nein. Aber deine Jagdpferde, kommen die immer noch blutend und schweißüberströmt von jedem Ritt zurück, so daß sie irgendwann auch an den Punkt kommen, wo ihnen nur noch eine Kugel helfen kann?«
Ihr bitterer Ton machte Crispin einen Augenblick lang sprachlos. Ihr Angriff schien irgendwie aus dem Nichts gekommen zu sein, und er gab sich die größte Mühe, sein Gleichgewicht wiederzufinden. Chloe sah in ihm plötzlich nur noch einen unangenehmen kleinen Jungen. Er öffnete und schloß verkrampft seine behandschuhten Hände.
»Vielleicht können wir das Thema Pferdefleisch jetzt abschließen? Sir Jasper hat dir ein Geschenk geschickt«, sagte er steif.
»Ach ja?« Chloe drehte sich um und blinzelte zu ihm auf ins
Licht.
Er deutete auf das Pferd, das er mitführte. »Dies ist Maid Marion. Sie stammt von Red Queen und Sheriff ab. Dein Bruder dachte, du würdest dich vielleicht über ein gutes Reitpferd
freuen.«
»Oh, ich erinnere mich an Sheriff«, sagte Chloe. »Ein herrlicher Hengst. Kein Wunder, daß sie ein so hübsches Fräulein ist.« Sie freute sich über den Themawechsel, denn ihr wurde plötzlich klar, daß sie doch recht heftig geworden war. »Aber ein solches Geschenk kann ich nicht annehmen.«
Er hatte mit einer derartigen Antwort gerechnet und sagte: »Warum nicht? Es ist doch ganz normal, wenn ein Bruder seiner Schwester ein Geschenk macht.«
Chloe blies der Stute sanft in die Nüstern. Maid Marion rümpfte ihre samtige Nase und bleckte die Zähne zu einem Pferdelächeln. Chloe streichelte ihren Hals und sagte so neutral sie konnte: »Das mag sein, aber als Geschenk kann ich sie wirklich nicht annehmen. Aber vielleicht kann ich sie mir einmal einen Tag ausleihen.«
Das würde denselben Zweck erfüllen. Crispin entspannte sich und fragte leichthin: »Wird dir dein Vormund denn erlauben, mit mir auszureiten?«
Chloe runzelte die Stirn. Hugo hatte jedes Recht verspielt, ihr noch Vorschriften machen zu wollen. Es gab nicht den geringsten Grund, warum sie nicht einige Zeit mit ihrer Familie verbringen sollte. Schließlich war sie ja nicht gerade von Freunden und Verwandten umlagert. Sie schluckte schwer und schalt sich angesichts dieses Selbstmitleids. Sie wußte instinktiv, daß Hugo ihr nicht erlauben würde, mit Crispin zu reiten, aber seine Gründe hatten mit ihr nichts zu tun, sie bezogen sich auf etwas zwischen Jasper und Sir Hugo, was auch immer das sein mochte. Also sah sie nicht ein, warum sie dem ihr Vergnügen opfern sollte.
»Ich werde ihn gar nicht fragen«, sagte sie. »Aber heute geht es nicht. Das muß ich erst richtig planen.«
Crispin konnte seine Befriedigung nicht verbergen und fragte eifrig: »Also wann?«
»Ich werde darüber nachdenken, und wir können dann Pläne schmieden, wenn du morgen kommst ... falls du morgen kommst«, fügte sie hinzu.
»Dann mußt du mir aber versprechen, mich etwas höflicher zu empfangen«, sagte Crispin. Er versuchte, seine Stimme spaßig klingen zu lassen, aber seine Augen waren hart, und er beugte sich zu dem immer anwesenden Dante hinunter, um ihn zu streicheln. Der Hund ging fort.
»Wenn ich unhöflich war, möchte ich mich dafür entschuldigen«, sagte Chloe. »Ich bin manchmal etwas heftig, wenn ich mich geärgert habe ... und ich werde sehr ärgerlich, wenn jemand Tiere schlecht behandelt.« Sie zuckte die Schultern, als könne man eigentlich nichts anderes erwarten. »Arme Rosinante. Kannst du dir nicht vorstellen, wie es für sie gewesen sein muß, ohne Hufeisen und halb verhungert gezwungen zu sein, schwere Lasten zu ziehen?«
»Da ich kein Pferd bin, kann ich es mir leider nicht vorstellen«, sagte Crispin. Er sah sie mit einem schiefen Grinsen an, und Chloe, deren Sinn für Humor immer dicht unter der Oberfläche lag, lächelte kurz.
»Ich glaube, ich werde dabei fast wie eine Besessene«, gab sie zu. »Aber du hast tatsächlich Schmetterlingen die Flügel ausgerissen.«
Crispin hob die Arme in einer entwaffnenden Geste der Aufgabe. »Aber da war ich noch sehr jung, Chloe, höchstens neun oder zehn. Ich verspreche dir, daß ich mich seitdem gebessert habe.«
»Also in Ordnung«, sagte sie und lachte. »Lassen wir die Vergangenheit
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