Im Schatten der Leidenschaft
ruhen.«
»Und du willst wirklich nicht, daß ich Maid Marion hierlasse?«
Chloe schüttelte den Kopf. »Danke Jasper in meinem Namen, aber ein solches Geschenk kann ich unmöglich annehmen. Ich würde sie allerdings gern kaufen«, fügte sie hinzu. »Sir Hugo sagte, wir würden mir ein gutes Pferd kaufen, wenn -«
»Wenn?« wiederholte Crispin, als sie scheinbar nicht weitersprechenwollte.
»Wenn erst endgültig geklärt ist, wo ich leben werde und wie«, sagte sie schließlich.
»Und wann wird das entschieden?«
Wenn und falls mein Vormund je nüchtern genug ist, um etwas zu entscheiden. »Bald, wenn Sir Hugo sich die verschiedenen Möglichkeiten überlegt hat.«
»Und was sind die Möglichkeiten?«
Aus irgendeinem Grund war Chloe nicht danach, Crispin ihre neuen Pläne anzuvertrauen. »Oh, das weiß ich noch nicht sicher«, sagte sie beiläufig. »Ich muß einen frischen Umschlag für Rosinante machen, also ...«
»Ich muß sowieso gehen.« Crispin verstand den Wink. Er griff nach ihrer Hand und hob sie an seine Lippen. »Also dann bis morgen.«
»Bis morgen«, stimmte ihm Chloe zu und zog überrascht ihre Hand zurück. Sie hatte nicht erwartet, daß Crispin versuchen würde, galant zu sein. Bisher hatte sie an Galanterien sowieso nur das Gestammel des Vikars und des Neffen von Miss Anne erfahren. Der Metzgerjunge zählte eigentlich nicht.
Und es zählte auch nicht, was zwischen ihr und Hugo geschehen war. Das war keine Galanterie gewesen. Aber was dann?
Sie winkte Crispin zum Abschied, als er davonritt und Maid Marion wieder am Zügel hinter sich herführte. Also was war es gewesen? Es war magisch gewesen und war weit über die Spiele und Rituale der Galanterie hinausgegangen. Es war kein Spiel gewesen. Es hatte überhaupt nichts Spielerisches an sich gehabt.
In dieser Nacht hörte sie wieder das Klavier. Doch die Klänge waren alles andere als fröhlich - eigentlich war es nicht einmal Musik. Es war eine rauhe Mischung aus Dissonanzen, in denen eine Verzweiflung lag, bei der sie eine Gänsehaut überlief, denn sie war wie ein Aufschrei der Einsamkeit. Der schmerzerfüllte Schrei eines Mannes, der seine Basis verloren hatte.
Chloe fand keine Worte für die Qual, die aus den Klängen sprach. Aber sie spürte den Schmerz, als wäre es ihr eigener. Sie stand aus dem Bett auf und setzte sich auf die Fensterbank. Dante saß schaudernd neben ihr, und Beatrice hatte sich schützend um ihre Kätzchen gerollt.
Chloe hörte Samuels schweren Schritt auf der Treppe. Sie hörte, wie die Tür zur Bibliothek geöffnet wurde, und wußte, daß Samuel helfen konnte, wo es ihr nicht möglich war. Es erstaunte sie, daß es einen Schmerz geben konnte, der für sie in seiner Tiefe kaum begreifbar war.
Die Mißklänge hörten auf. Chloe atmete kräftig durch und entspannte sich etwas.
Als Samuels schwielige Hände sich über Hugos Hände auf den Tasten legten, ließ Hugo den Kopf auf die Brust fallen. »Ich weiß nicht, ob ich es schaffe«, flüsterte er.
»Doch, Sie schaffen es«, sagte Samuel leise. »Sie brauchen Ruhe.«
»Ich brauche Brandy, verdammt!« Hugo streckte die Hände aus. Sie zitterten unbeherrschbar. »Meine Haut brennt«, murmelte er. »Ich fühle mich jetzt schon, als würde ich Satans Feuer weiter anheizen. Eden in der Hölle.« Sein kurzes Lachen klang gnadenlos. »Willst du mit in diese Hölle, Samuel? Ich verspreche dir, der Weg dorthin ist mit jeder Ausschweifung gepflastert, die die Menschheit kennt. Die Frage ist -« er schüttelte langsam den Kopf. »Die Frage ist, ob die Freuden, die am Weg liegen, die Hölle des Ziels rechtfertigen.«
»Kommen Sie mit nach oben«, sagte Samuel. »Ich bringe Sie zu Bett -«
»Nein, verdammt.« Hugo stieß seine Hände weg. »Ich kann nicht schlafen. Ich werde hierbleiben.«
»Sie müssen etwas essen -«
»Samuel, laß mich in Ruhe.« Seine Stimme klang gefährlich ruhig.
Samuel verließ die Bibliothek und ging zurück ins Bett. Chloe hörte ihn nach oben kommen und kroch auch wieder in ihr Bett zurück, wo Dante sich diesmal neben sie legte. Sein Atem streifte feucht und warm ihr Gesicht, und sein schwerer Körper war wie eine zusätzliche Decke. Schließlich schlief sie ein.
In der Bibliothek setzte Hugo einsam sein Wachen fort.
Crispin kam am folgenden Morgen nicht, und Chloe, die sich schon einen Plan ausgedacht hatte, wie sie dem scharfen Blick ihres Vormunds entkommen konnte, war enttäuschter, als sie hätte zugeben wollen. Ruhelos beschloß
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