Im Schatten der Leidenschaft
es wiedergutmachen, so weit er es tun konnte, ohne seine Autorität zu untergraben.
»Jetzt ist nur noch die Frage, wo du hinkommst«, sagte Chloe und betrachtete ihr Werk mit kritisch gerunzelter Stirn. »Irgendwo, wo es dunkel und ruhig ist ... und weit genug entfernt von Beatrice. Auch wenn sie mit den Mäusen ganz gut beschäftigt ist«, fügte sie noch hinzu.
»Sie ist eine gute Mauserin, oder?« Samuel warf Bries in eine Wanne auf dem Feuer.
»Ja, ich wünschte nur, sie würde nicht immer mit den Mäusen spielen, bevor sie sie tötet«, klagte Chloe und schnupperte hungrig.
»So ist eben die Natur eines Raubtiers«, stellte Hugo fest.
Chloe warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, als hätte er etwas Idiotisches gesagt, und wandte sich an Samuel. »Also, Samuel, hättest du einen Vorschlag, wo ich ihn hinsetzen könnte?«
»Warum nicht in die alte Brennerei ?« schlug Hugo hartnäckig vor. »Dort ist es dunkel, und ein Schlüssel steckt in der Tür, so daß du sicher sein kannst, daß sie nicht zufällig aufgeht.«
»Und wo finde ich die Brennerei?« Chloe sprach weiterhin Samuel an, als wäre es sein Vorschlag gewesen.
»Oben am Ende des Nordflurs«, meinte Samuel. »Wahrscheinlich voller Spinnweben.«
»Dann wird er sich ja wie zu Hause fühlen.« Sie nahm die Schachtel und verließ die Küche.
»O Gott!« ächzte Hugo und stützte den Kopf auf die Hände, die Ellenbogen auf dem Tisch.
»Mir scheint, da müssen ein paar Sünden ausgebügelt werden«, lautete Samuels lakonische Antwort. Er stellte einen Laib Brot und eine Schüssel mit gelber Butter auf den Tisch.
»Das ist deutlich untertrieben ... aber heute habe ich nicht mehr die Energie, daranzugehen.«
»Lassen Sie sich nur von der Miss nicht beunruhigen«, riet ihm Samuel weise. »Ruhen Sie sich einfach aus.« Er kratzte den Inhalt der Pfanne auf einen Teller und stellte ihn vor Hugo. »Hinunter damit, Sir Hugo. Das wird Ihnen verdammt gut tun. Und eine schöne Bachforelle kommt danach. Hab’ ich heute morgen erst gefangen.«
»Und was bekommt das Mädel ?« fragte Hugo mit einem kleinen Lächeln. »Ihre Laune wird nicht besser werden, wenn ich auch noch ihr Abendessen verspeise.«
»Sie wird Eier mit Schinken essen wie ich, und zwar gern.«
Chloe fand Eier mit Schinken durchaus in Ordnung und warf keine neidischen Blicke über den Tisch auf das Essen ihres Vormunds. Sie war allerdings ziemlich schockiert gewesen angesichts seines erschöpften Aussehens, als sie ihn flüchtig betrachtet hatte, auch wenn seine grünen Augen trotz ihrer roten Ränder klarer wirkten, als sie sie überhaupt kannte. Die Erinnerung an die schreckliche Musik vom vergangenen Tag machte es ihr schwer, bei ihrem wohlbewahrten Ärger zu bleiben. Wenn er während der ganzen Tage und Nächte in der Bibliothek nicht getrunken hatte - was hatte er dann getan?
»Wie geht es Rosinante?« fragte Hugo und legte mit einem satten Seufzer seine Gabel weg.
Chloe zuckte die Schultern. »Gut, nehme ich an.« Sie hätte den Zustand des Tieres gern im einzelnen mit ihm besprochen, nahm aber dummerweise die Gelegenheit, noch eine zweite Meinung dazu einzuholen, nicht wahr.
Hugo schob seinen Stuhl zurück. »Ich bin so gut wie tot vor Müdigkeit, Samuel. Ich gehe nach oben ins Bett. Week mich nicht auf.«
»Fällt mir nicht im Traum ein«, erklärte Samuel.
Hugo kam um den Tisch herum und blieb bei Chloes Stuhl stehen. Er nahm ihr Kinn und hob ihren Kopf. Die tiefblauen Augen funkelten ihn böse an, doch er konnte das Gefühl erkennen, das ihre kriegerische Haltung verbarg.
»Ich gebe dir das Recht, mich heute abend noch zu strafen«, sagte er gleichmütig. »Aber morgen früh wirst du dich mir gegenüber wieder ganz normal und höflich verhalten, Mädel, ist das klar?«
»Ich bin nicht unhöflich«, erwiderte Chloe und versuchte, ihr Kinn wegzuziehen.
»O doch. Und zwar außerordentlich. Das hört ab morgen auf. Wir haben eine Menge zu besprechen, und ich bin nicht gewillt, die Diskussion mit einer einsilbigen Göre zu führen.« Er milderte seine Worte durch ein müdes Lächeln, weil sie trotz ihres finsteren Gesichtsausdrucks immer noch atemberaubend schön war. Dann erinnerte er sich daran, wozu die genauere Betrachtung ihrer Schönheit führen konnte, und ließ sofort ihr Kinn los. »Also gute Nacht, ihr zwei.«
Die Küchentür schloß sich hinter ihm. Chloe strich sich über das Kinn, wo sie immer noch die Berührung seiner Finger zu spüren schien.
KAPITEL 10
Chloe
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