Im Schatten der Leidenschaft
gewesen, als sie erwartet hätte.
»Hmm«, sagte er, »das war eine schludrige Vorstellung, Mädel.«
»Ich habe doch völlig richtig gespielt«, protestierte sie. »Ich weiß, daß ich keine falsche Note gespielt habe.«
»O natürlich, die Töne haben schon gestimmt«, meinte er. »Es geht im Augenblick nicht um deine Fähigkeit, vom Blatt zu spielen.«
»Was hat denn dann nicht gestimmt?« Sie hörte sich sowohl verletzt als auch traurig an.
»Weißt du das nicht? Du hast das Stück so eilig gespielt, als wolltest du es möglichst schnell hinter dich bringen.«
Chloe biß sich auf die Lippen. Es machte ihr keinen besonderen Spaß, aber ehrlicherweise mußte sie seine Kritik annehmen. »Ich vermute, das liegt daran, daß wir im Internat Stücke immer so lange spielen mußten, bis wir sie richtig konnten, den Noten nach. Dann durften wir aufhören.«
Hugo verzog angewidert das Gesicht. »Also bedeutete das Üben eine Strafe für vorheriges Versagen. Mein Gott, wirklich eine kriminelle Art zu unterrichten.« Er stand auf. »Deine Mutter war eine hervorragende Musikerin ... rutsch ’mal ein Stück.«
»Ja wirklich?« Chloe rückte weiter an den Rand der Bank, als er sich neben sie setzte. »Ich habe sie nie spielen hören.« Sein Schenkel drückte hart und warm gegen den dünnen Musselin ihres Kleides, und sie hielt ihr Bein ganz still, da sie wußte, daß er von ihr abrücken würde, sobald er ihre Nähe spürte. Und das wollte sie auf keinen Fall.
Das Laudanum muß die Künstlerin ebenso wirksam vernich-tet haben wie die Mutter, dachte er traurig, denn er war im Augenblick zu sehr mit Musik und seinen Gedanken beschäftigt, um die Nähe des schlanken, duftenden Körpers zu bemerken. »Sie konnte außer Klavier auch Harfe spielen und singen wie ein Engel.«
»Ich kann auch singen«, sagte Chloe, als würde das ihre bedauerliche Vorstellung am Klavier ausgleichen.
»Ja?« Er mußte lächeln angesichts dieses eifrigen Einwurfs. »Nachher kannst du mir auch einmal etwas Vorsingen, aber jetzt werden wir erst einmal deine Vortragskunst bei >Lerchenflug< verbessern. Hör zu.« Er spielte die ersten Takte. »Da ist Vogelgesang zu hören... nicht eine Herde von wilden Elefanten. Versuch es.«
Chloe wiederholte brav seine Pausen und Betonungen, während sie Stück für Stück das Lied durchgingen. »Dein Gehör ist völlig in Ordnung«, meinte er am Schluß. »Wir müssen nur deine Faulheit etwas bearbeiten.«
»Ich bin gar nicht faul«, protestierte Chloe. »Aber niemand hat mir beigebracht, wie man es richtig macht, das hast du doch selbst gesagt.« Sie wandte ihm halb lachend, halb ärgerlich im Kerzenlicht ihr Gesicht zu. »Du kannst mich doch unterrichten.«
Er hielt den Atem an. Eine derart atemberaubende Schönheit konnte fast nicht möglich sein. Sie bewegte sich auf der Bank, und ihr Schenkel drückte sich an den seinen, was einen Strom von Erregung in seine Lenden schießen ließ.
»Steh auf«, befahl er heftig. »Im Sitzen kannst du nicht singen.«
Eine Sekunde lang bewege sich Chloe nicht, und ihre Augen zeigten, daß sie wußte, was geschehen war, als sie ihn ansah. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen ... ein Lächeln der klaren, sinnlichen Einladung.
»Steh auf, Chloe«, wiederholte er, doch diesmal mit ruhiger Stimme.
Sie gehorchte, doch das Lächeln auf ihren Lippen blieb, ihr Rock streifte sein Knie, und sie stützte sich mit einer Hand auf seine Schulter. »Was soll ich singen?«
»>Lerchenflug<«, sagte er und räusperte sich. »Jetzt kennst du
die Melodie. Du kannst den Text hier ablesen, während ich
spiele.«
Ihre Stimme war klar, doch unerfahren, ohne die Kraft und Eindringlichkeit, die Elizabeth besessen hatte, und auch hier blieb ihre Tendenz, zu schnell zu werden. Als die letzte Note verklang, fragte er sich, ob es ihm wohl gelingen könnte, ihre natürlichen Fähigkeiten zu schulen.
»Siehst du, ich habe dir doch gesagt, daß ich singen kann«, erklärte sie. »War das nicht hübsch?«
»Mein Kind, dir fehlt es an Urteilsvermögen«, sagte er und nahm erleichtert die Rolle des Lehrers an. Dadurch gelang ihm die nötige Distanz. »Deine Stimmlage ist in Ordnung, aber dein Stimmvolumen ist gering, weil du nicht richtig atmest. Warum hattest du es so eilig?«
Chloe sah etwas niedergeschlagen drein, und wie er gehofft hatte, war die sinnliche Einladung aus ihrem Gesicht verschwunden. »Das ist mir nicht aufgefallen.«
»Nun, es war aber so. Doch das läßt sich auch beheben,
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