Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
musterte mich sorgfältig mit Blicken.
»Mir kommt es so vor, als wären Sie sich Ihrer Sache zu sicher«, sagte sie.
»Es paßt alles zusammen, Rosie. Ein schwarzer Zuhälter, der am Busbahnhof von New Orleans arbeitet, hat mir von einem Weißen erzählt, der Pornomaterial verkauft. Ich dachte, er redet von Fotografien oder Postkarten. Geht da bei Ihnen kein Licht an? Doucet hat wahrscheinlich Mädchen für Balbonis Pornofilme besorgt.«
»Die einzige direkte Verbindung, die wir haben, ist der Fakt, daß Doucet Cherry LeBlanc verhaftet hat.«
»Das stimmt. Und obwohl er wußte, daß ich an dem Fall arbeite, hat er es nie erwähnt, oder? Er war nicht mal neugierig, ob wir weiterkommen. Finden Sie das normal?«
»Na ja, holen wir uns den Durchsuchungsbefehl und schauen wir mal, was Mr. Doucet uns heute morgen zu sagen hat.«
Dreißig Minuten später hatten wir ihn und waren auf dem Weg aus dem Department, als mein Telefon klingelte. Es war Bootsie. Sie sagte mir, daß sie in die Stadt wollte, um Kerzen und Isolierband für die Fenster zu kaufen, für den Fall, daß der Hurrikan doch noch zur Küste rüberkam. Mittagessen für mich und Alafair wäre im Ofen.
Dann sagte sie: »Dave, bist du gestern nacht noch mal weggegangen?«
»Eine Sekunde mal«, sagte ich und nahm den Hörer vom Ohr. »Rosie, ich komme gleich nach.«
Rosie ging zur Tür hinaus und beugte sich über den Trinkwasserbehälter.
»Entschuldigung. Was hast du gerade gesagt?«
»Mir war so, als ob ich mitten in der Nacht deinen Pickup hab starten hören. Dann hab ich gedacht, daß es vielleicht nur ein Traum war. War’s nur ein Traum?«
»Ich mußte mich um was kümmern. Ich hatte einen Zettel auf die Lampe gelegt, falls du aufwachst, aber du hast tief und fest geschlafen, als ich wiederkam.«
»Was treibst du, Dave?«
»Gar nichts. Ich kann’ s dir später erzählen.«
»Sind es wieder diese Visionen in der Marsch?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Dave?«
»Kein Grund zur Sorge. Glaub mir.«
»Ich habe allerdings Grund zur Sorge, wenn du was vor mir verbirgst.«
»Laß uns heute abend essen gehen.«
»Ich finde, erst sollten wir uns mal unter vier Augen unterhalten.«
»Wenn ich nicht aufpasse, springt mir ein ganz übler Kerl vom Haken. Darauf läuft’s raus. Ich erklär’s dir später.«
»Weiß der Sheriff, was du da treibst?«
»Er hat mich nicht gefragt. Jetzt komm, Boots. Stell dich nicht so an.«
»Wie du meinst. Tut mir leid, daß ich gefragt hab. Schließlich ist es ja normal, wenn der Ehemann mitten in der Nacht verschwindet und wiederkommt, ohne ein Wort zu sagen. Bis heut nachmittag.«
Sie hängte auf, bevor ich etwas darauf erwidern konnte; aber in Wahrheit wußte ich einfach nicht, wie ich ihr die Gefühle erklären sollte, die ich an diesem Morgen gehabt hatte. Wenn Murphy Doucet unser Serienmörder war, und das glaubte ich fest, dann standen wir mit ein wenig Glück kurz davor, ein stählernes Netz über eins jener pathologisch deformierten Individuen zu werfen, die in unserer Mitte ihre Kreise ziehen, gelegentlich ein Leben lang, und dabei ein Ausmaß von Leid anrichten, das nur die Überlebenden nachvollziehen können, die den Rest ihres Lebens damit zubringen, vergeblich nach Erklärungen für ihren Verlust zu suchen.
Ich hatte es am eigenen Leib erfahren. Meine Frau Annie war zwei solchen Männern zum Opfer gefallen. Ein Therapeut sagte mir, daß ich keinen Frieden finden würde, bis ich lernte, nicht nur mir für ihren Tod zu vergeben, sondern auch der gesamten Menschheit, weil sie die Männer hervorgebracht hatte, die sie getötet hatten. Erst wußte ich nicht, was er damit meinte. Das kam erst mehrere Monate später, als mir auf einmal wieder etwas einfiel, das an einem Winternachmittag geschehen war, als ich im Alter von sieben unerwartet vorzeitig von der Schule nach Hause kam.
Meine Mutter war nicht bei der Arbeit in der Tabasco-Abfüllfabrik, wo sie hätte sein sollen. Statt dessen warf ich vom Flur aus einen Blick durch die Schlafzimmertür und sah dort das bonbonfarben gestreifte Hemd eines Mannes, Hosenträger, eine weit geschnittene Anzughose und einen Panamahut am Bettpfosten hängen. Seine Socken steckten in den zweifarbigen Schuhen auf dem Boden. Meine Mutter war nackt, auf allen vieren, auf dem zugedeckten Bett, und der Mann, dessen Name Mack war, war im Begriff, sie zu besteigen. Eine Holzbohle knarrte unter meinem Fuß, und Mack drehte den Kopf und sah mich an, der Strichbart wie die
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