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Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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Konturen eines fliegenden Vogels über der Lippe. Dann drang er in meine Mutter ein.
    Monatelang träumte ich von einer weißen Wölfin, die in einem skelettartigen schwarzen Baum in einer endlosen weißen Landschaft lebte. Vor dem Baum war eine kleine Höhle mit Wolfsjungen. In meinem Traum sprang die Wölfin vom Baum herunter, die Zitzen prall mit Milch, und fraß nacheinander die eigenen Jungen.
    Ich verpaßte absichtlich den Schulbus am Nachmittag und trieb mich am Spielplatz rum, bis auch die letzten Kinder ihre Footballs oder Drachen einsammelten und in der Abenddämmerung durch das heruntergefallene Laub zu den Häusern gingen, wo Licht brannte und durch die Fliegentüren die Radiosendungen »Jack Armstrong« oder »Terry and the Pirates« nach draußen drangen. Als mein Vater wieder heimkam – er hatte Fallen auf Marsh Island gestellt –, sagte ich ihm mit keinem Wort, was da vor meinen Augen in ihrem Schlafzimmer vor sich gegangen war. Wenn sie sich nachts stritten, setzte ich mich auf die Hintertreppe und sah zu, wie die Zuckerrohrabfälle auf den Feldern verbrannt wurden. Die Feuer sahen aus wie Tausende roter Taschentücher, die sich im Rauch drehten.
    Ich wußte, in meinen Träumen wartete die Wölfin auf mich.
    Eines Nachmittags dann, es war schon spät, als ich endlich den Heimweg von der Schule antrat, kam ich an einer offenen Tür im hinteren Teil des Klosters vorbei. Das war das Musikzimmer, mit einem Piano, einem Plattenspieler und einem gebohnerten Eichenboden. Und die zwei jungen Nonnen, deren Aufgabe es war, die Dielen zu bohnern, hatten Mop und Lappen beiseite gelegt, das Radio eingeschaltet und tanzten barfüßig einen wilden Jitterbug miteinander, mit fliegendem Schleier, so daß die hölzernen Rosenkränze an ihren Hüften nur so wirbelten.
    Sie sahen mich nicht, und ich muß ihnen wohl an die fünf Minuten lang zugesehen haben, fasziniert von den geröteten Gesichtern unter ihrer Kluft und dem Lachen, das sie mit ihren Händen zu unterdrücken versuchten, wenn es zu laut zu werden drohte.
    Ich konnte es mir selbst nicht erklären, aber von nun an wußte ich, wenn ich an die tanzenden Nonnen dachte, bevor ich einschlief, würde ich nicht von der weißen Wölfin im Baum träumen.
    Ich fragte mich, was für Träume Murphy Doucet wohl hatte. Vielleicht waren es einmal die gleichen wie meine gewesen. Vielleicht war es auch besser, es nicht zu wissen.
    Aber ich zweifelte nicht daran, daß er bereit war, als wir bei der Wachkabine am Spanish Lake aufkreuzten. Er stand da, die Beine leicht gespreizt wie in Rührt-euch-Stellung, vor der Tür, die Hände auf den Revolvergurt gelegt, der Bauch flach wie ein Brett, ein zynisches Funkeln in den Augen.
    Ich entfaltete den Durchsuchungsbefehl vor seinen Augen.
    »Wollen Sie ihn durchlesen?« fragte ich.
    »Wozu? Ich geb einen feuchten Furz drauf, was Sie hier machen«, antwortete er.
    »Könnten Sie vielleicht Ihre Ausdrucksweise etwas mäßigen?« fragte ich.
    »Kriegt sie sonst rote Ohren?« sagte er.
    »Gehen Sie rüber zu meinem Wagen, bis wir fertig sind«, sagte ich.
    »Was hoffen Sie da zu finden?« fragte er.
    »Man weiß ja nie, Murph. Sie sind selbst Cop gewesen. Manchmal werden die Leute unvorsichtig und fassen in die Scheiße, Manchmal vergessen sie sogar, daß sie zusammen mit einem ihrer Opfer fotografiert worden sind.«
    In seinen Augenwinkeln bildeten sich feine braune Fältchen.
    »Wovon reden Sie?«
    »Ich an Ihrer Stelle hätte Cholo das Foto in Biloxi mit Baby Feet und Cherry LeBlanc nicht machen lassen.«
    Die blauen Augen fuhren wild in der Gegend herum; die Pupillen waren wie schwarze Nadelköpfe. Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe.
    »Ich will nicht, daß sie in meinem Zeug rumwühlt«, sagte er.
    »Würden Sie mich gerne davon abhalten, in Ihrem ›Zeug‹ rumzuwühlen, Mr. Doucet?« fragte Rosie. »Steht Ihnen heute morgen der Sinn nach einer Anzeige wegen Behinderung eines Bundesbeamten bei der Ausübung seines Dienstes?«
    Ohne die Augen von ihrem Gesicht zu nehmen, fischte er sich mit zwei Fingern eine Lucky Strike aus der Packung in der Brusttasche seines Hemdes und steckte sie in den Mundwinkel. Dann lehnte er sich nach hinten an meinen Truck, schüttelte sein Zippo-Feuerzeug auf, schützte die Flamme mit den hohlen Händen, zog an der Zigarette und widmete seine Aufmerksamkeit den Pecanbäumen, die im Wind wogten, und einem leeren Obstkorb, der wild über ein Feld sprang.
    Auf seinem Arbeitstisch lagen

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