Im Schatten der Mitternachtssonne
haben.«
Er nickte lächelnd, als sei er ihr Freund, ein willkommener Gast, nicht ein Mann, der mit dem Schwert in der Hand vor ihr stand. »Natürlich hast du recht. Ich habe hier nicht viel Gutes zu erwarten.« Er machte ein belustigtes Gesicht. »Dummerweise überlebte eines der Weiber auf dem Hof von Ingolfsson und berichtet jetzt auf dem Thing, daß ich sie vergewaltigt und geschändet habe. Ich habe sie für tot gehalten, wie alle anderen auch. Wir fanden eine Menge Gold und Silber — der Mann, der mir davon berichtete, hat nicht gelogen. Jetzt habe ich mehr als genug Gold.« Er blickte zu dem Palisadenzaun hinauf, der das Gehöft umgab. Dann blickte er über den Viksfjord zu den Bergen dahinter.
»Doch hier ist meine Heimat, und es schmerzt mich, fortgehen zu müssen. Ja, ich bin nun ein reicher Mann, aber ich habe kein Land.«
»Niemand hat dich gezwungen zu töten, zu rauben und zu schänden.«
Nun war das Lächeln aus seinem Gesicht gewichen. »Ich bespreche meine Taten nicht mit Frauen. Du begreifst nicht, welche Mächte einen Mann vorantreiben.«
»Ich verstehe Magnus. Er ist ein Mann, wie ich zuvor noch keinen gekannt habe.« Genau in dem Moment, als diese Worte über ihre Lippen kamen, durchflutete sie die Erkenntnis. Magnus war ein gütiger und unerschütterlich treuer Mann; er hatte den ehrlichen Wunsch gehabt, sie zur Frau zu nehmen. Er hatte Lotti geliebt und den Tod des Kindes betrauert. Und am gleichen Tag hatte er seinen Sohn verloren ... Sie kam sich klein und engstirnig und sehr dumm vor. Sie hatte ihm kein Verständnis entgegengebracht, keinen Trost, keine Güte. Sie hatte sich in Selbstmitleid gesuhlt, hatte ihn und seinen Schmerz mißachtet, hatte sich in ihrer Selbstsucht völlig vor ihm verschlossen. Sie schloß die Augen und wünschte, sie könnte alles ungeschehen machen, was sie getan hatte, alles, was sie gesagt und gedacht hatte, denn nun erkannte sie — ja, endlich begriff sie — daß sie sich selbst und ihn belogen hatte.
»Hat dir Magnus deine Jungfernschaft genommen?«
Sie wich zurück, aus ihren Gedanken gerissen, und dann erst wurden ihr seine Worte klar. Wieder blickte sie den gewundenen Pfad entlang und sah sich laufen und laufen. Sie sah auch, wie er sie einfing. Was würde dann geschehen? Das konnte sie nicht sehen.
»Antworte, Weib! Hat Magnus deine Jungfernschaft genommen, oder war es ein anderer Mann, dein erster Ehemann?!«
»Es war Magnus.«
»Ingunn führt schlechte Reden über dich, nennt dich eine Hure und Schlampe, aber daran zweifle ich. Sie gibt dir diese Schimpfnamen sogar, wenn sie ihre Lust hinausschreit, die ich ihr verschaffe. Das ist seltsam, aber sie ist nur eine Frau, und ihre Handlungen ergeben keinen Sinn.« Er schwieg und blickte zum Palisadenzaun hinauf. »Du hast recht. Bald wird jemand bemerken, daß du fortgegangen bist. Möglicherweise sieht man sogar, wie ich mit dir spreche. Wir werden jetzt gehen, Zarabeth.«
Sie drehte sich um und rannte los.
Die Versammlung des Thing dauerte nun schon drei Tage. Harald führte den Vorsitz und hatte befohlen, die Anklagen gegen Orm vorzubringen. Die Aussage von Ingolfssons Tochter, einem Mädchen namens Minin, erst zwölf Jahre alt, versetzte die Versammlung in helle Empörung. Orm hatte sie vergewaltigt und danach gegen einen Felsen geworfen und liegen gelassen, in der Annahme, sie sei tot. Dort lag sie drei Tage ohne Bewußtsein. Sie sprach vor der Versammlung mit bebender Kinderstimme, und jeder der Anwesenden sah sein eigenes Kind im Zeugenstand. Und die versammelten Männer packte unaussprechlicher Zorn.
Über Orm wurde der Bann gesprochen. Von nun an war er ein Geächteter, ein Vogelfreier. Er mußte Norwegen verlassen, wenn man ihn nicht vorher umbrachte, denn die Männer des Ingolfsson Clans wollten sein Blut sehen.
Magnus saß seinem Vater und seinem Bruder Mattias gegenüber. Die Luft war lau, die Landschaft lag im Zwielicht der frühen Sommernacht.
»Ich breche morgen auf«, sagte Magnus.
Mattias feixte. »Dein Blut ist erhitzt, Magnus, und du möchtest es an deiner jungen Frau kühlen.«
Magnus sagte nichts. Zarabeths Bild stieg in ihm auf. Sie lag auf dem Rücken, mit geschlossenen Augen, ihre Arme seitlich neben sich, die Hände zu Fäusten geballt. In jener Nacht, bevor er zum Thing aufgebrochen war, hatte er sie noch einmal genommen, und als er fertig war, sah er die Tränen aus ihren geschlossenen Lidern quellen und ihre Wangen entlanglaufen. Sie hatte keinen Laut von sich
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