Im Schatten der Mitternachtssonne
drängte zum Aufbruch, und sie schulterte die Bündel.
Zarabeth und eine ältere Frau gingen zu Fuß. Orm, seine zwei Männer und Ingunn saßen zu Pferd. Sie hätte gerne gewußt, wer die andere Frau war, doch sie hielt den Kopf gesenkt und wahrte Abstand zu Zarabeth, als habe sie Angst vor ihr. Wer immer sie war, die Frau schien eine gefangene Sklavin zu sein. Zarabeths Finger tasteten an ihren Hals, wo noch vor kurzem das eiserne Sklavenband lag. Sie schloß die Augen und dachte an Magnus. Er würde sie finden. Er würde sie suchen. Falls ihm noch etwas an ihr lag.
Falls die Leute auf Malek ihm nicht einredeten, sie sei entflohen und habe sich das Leben genommen. Sie dachte an die letzte Nacht mit Magnus. Er hatte sie genommen, und sie hatte sich immer wieder eingeredet, daß sie verabscheute, was er ihr antat. Sie haßte ihn dafür, daß er ihr Nacht für Nacht seine Lust aufzwang. Ihre Träume waren geflossen, und sie wußte, daß er ihre Tränen bemerkte, doch sie gab keinen Laut von sich, und er war tiefer in sie gedrungen, als wolle er ihr beweisen, daß ihre Gefühle, ihre Gedanken ihm nichts bedeuteten. Am nächsten Morgen hatte er Malek verlassen, und sie hatte den Blick von ihm gewendet, selbst nachdem er sie vor all seinen Männern geküßt hatte und lachend fortgeritten war.
Die Gruppe kam nur langsam voran mit den zwei Frauen zu Fuß. Schließlich machte Orm Halt, rief einen der beiden Männer, Kol, zu sich, und befahl ihm, die andere Frau zu sich aufs Pferd zu nehmen. Zarabeth setzte Orm vor sich aufs Pferd.
Ingunn ritt heran. »Sie kann mein Pferd haben, Orm. Ich reite mit dir. Es ist nicht recht, eine Sklavin so gut zu behandeln.«
»Es hieße sie noch besser zu behandeln, wenn sie alleine reiten würde.«
Ingunn biß sich auf die Unterlippe, suchte verzweifelt nach einem Grund, der ihn umstimmen würde. Sie bemerkte, daß Zarabeth auffallend still war; beobachtete, wie sie seine Hand annahm, wie seine Armmuskeln sich spannten, als er sie zu sich aufs Pferd hob. In Ingunns Magen kämpften Wut und Übelkeit. Hätte sie doch bloß einen Dolch, den würde sie dieser Hure liebend gerne zwischen die Rippen jagen.
»Ingunn!«
Sie schluckte ihren Groll hinunter und brachte ihre Stute neben seinen Hengst. »Ja?«
»Erzähl mir mehr über diese Sklavin mit den seltsamen Haaren und dem fremdländischen Namen. Du hast sie eine Schlampe und eine Hure genannt und gesagt, sie habe deinen Bruder verhext. Warum?«
»Mein Bruder wollte sie heiraten, doch sie hat ihn betrogen. Sie schickte ihn fort und heiratete einen alten Mann, der reicher war als Magnus. Dann hat sie den Greis langsam vergiftet. Man kann ihr nicht trauen. Sie ist eine Hexe und sehr hinterhältig.«
»Ich traue niemand, weder Mann noch Frau, also kann mir nichts passieren. Und was ihre Hinterhältigkeit betrifft, glaubst du, ich bin ein Narr, Ingunn?«
Sie blickte ihn verständnislos an. Seine Augen hatten sich verdunkelt, die blaue Iris funkelte nahezu schwarz.
Plötzlich hatte sie Angst vor ihm und schüttelte heftig den Kopf.
»Antworte!« forderte er.
»Nein, du bist kein Narr, Orm.«
»Gut. Es gefällt mir, wenn du gehorsam bist, Ingunn.« Seine Augen wurden heller, und die Wildheit wich daraus so rasch, wie sie gekommen war. Ingunn dachte an ein kurzes Gespräch mit ihm, bevor er Zarabeth entführt hatte. Sie hatte mit zitternder Stimme gesagt: »Vielleicht bin ich eine Närrin.« Noch bevor die Worte ausgesprochen waren, hatte sie sich dafür gehaßt.
»Was meinst du damit?«
»Ich bin zu dir gekommen, weil ich glaubte, du liebst mich. Ich habe das Anwesen meiner Eltern verlassen, um zu dir zu kommen.«
»Und nun änderst du schwaches Weib deine Meinung? Du bist eine Närrin, Ingunn. Ich mache dich zu meiner Ehefrau, zweifle nicht daran.«
Nun fragte sie: »Was hast du mit ihr vor?«
»Darüber bin ich mir noch nicht im klaren.«
Ingunn wußte dem nichts hinzuzufügen. Sie sah Zarabeths wildes, flammendrotes Haar vor sich, das ihr schwer in den Rücken hing, und der vertraute Groll gegen die Frau rumorte in ihren Eingeweiden. Sie sann auf Rache. Orm war ein Mann, dessen Schwächen sie nicht vergessen durfte, wenn es um Frauen ging. Magnus war dieser Frau verfallen, er hatte sich ihretwegen gegen die eigene Schwester gestellt.
Nun hatte Orm erneut das Wort ergriffen, richtete es aber an Zarabeth. »Schmerzt deine Wange noch immer?«
»Nein.«
»Gut. Du scheinst eine tapfere Frau zu sein, das gefällt mir. Was glaubst
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