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Im Schatten der Mitternachtssonne

Im Schatten der Mitternachtssonne

Titel: Im Schatten der Mitternachtssonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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gezogen.
    Ich muß entkommen, dachte Zarabeth unentwegt, als die Nachmittagsstunden verstrichen. Ich muß entkommen. Orm tötet kaltblütig und leugnet seine Tat lachend, selbst wenn das Blut noch von seinen Händen tropft.
    Auch an diesem Abend, als sie das Nachtlager aufschlugen, wurde Zarabeth wieder weggeschickt, um Brennholz zu sammeln. Kol war wie üblich ihr Aufpasser. Er wies brummend auf die Zweige und das Gestrüpp, das auf der Erde lag. Er hatte nicht die Absicht, ihr bei der Arbeit zu helfen, er bewachte sie nur.
    Irgendwann sagte sie: »Laß mich einen Augenblick allein ... ich muß mich erleichtern.«
    Er sah sie ohne jede Regung in seinem häßlichen Gesicht an. »Ich schau dir zu«, sagte er und verschränkte die Arme über der Brust.
    Innerhalb weniger Augenblicke verwarf sie mehrere Fluchtmöglichkeiten. Dann zuckte sie gleichmütig die Achseln. Im nächsten Augenblick blickte sie ihm über die Schulter und riß die Augen vor Schreck auf. Als er herumfuhr, raffte sie die Röcke, rannte so schnell sie konnte und duckte sich hinter den Stamm einer mächtigen Tanne. Sie hörte nicht das geringste Knacken im Unterholz, denn Kol bewegte sich lautlos wie ein wildes Tier. Entsetzen kroch in ihr hoch. Wo war er?
    Plötzlich hörte sie sein Rufen: »Weib, bleib stehen! Komm sofort zurück, hörst du mich?« Sie hielt den Atem an, denn er war ganz nahe. »Orm wird sehr ungehalten mit dir sein. Er wird dich bestrafen! Und seine Bestrafungen sind nicht sehr angenehm. Diesmal wird er dir den Kiefer brechen. Komm heraus!«
    Er war noch näher gekommen, bewegte sich lautlos. Sie schloß die Augen und preßte sich an die Baumrinde. Wieder hörte sie ihn: »Du entkommst mir nicht, Weib. Komm jetzt heraus, und ich werde dir nicht böse sein.«
    Sie stand reglos wie eine Statue. Und plötzlich tauchte er vor ihr auf. Er sah sie und fuhr zurück, doch nicht rechtzeitig. Sie rammte ihm den schweren Stein mit aller Kraft in den Bauch. Er heulte auf, kippte vornüber. Im Fallen schlug Zarabeth ihm den Stein über den Schädel. Er ging lautlos zu Boden.
    Sie war frei. Sie konnte ihr Glück nicht fassen, stand keuchend über Kol, den Brocken immer noch fest in beiden Händen haltend. Sie hatte sich fest vorgenommen, ihm den Stein über den Schädel zu schlagen, doch daß sie es wirklich getan hatte, und der Kerl nun leblos vor ihr lag, versetzte ihr zunächst einen lähmenden Schock. Dann kniete sie neben ihm, nahm ihm das Messer ab und rannte los. Die Bäume standen immer spärlicher, bald würde sie eine Lichtung erreichen, wo Orm und Bein sie sehen konnten. Doch die Bäume auf der anderen Seite der Waldwiese waren so nah. Sie konnte es schaffen, wenn sie nur schnell genug rannte.
    Magnus stieg vom Pferd und streckte sich. Er tätschelte Thorgells Hals, dann bückte er sich zu Gunnar, der die Spuren untersuchte.
    »Wir sind nah, Magnus.«
    Magnus brummte.
    »Auf zwei Pferden reiten zwei Leute. Ich vermute, daß auf jedem Pferd ein Mann und eine Frau sitzen.«
    Magnus sah Orm mit Zarabeth vor sich auf dem Pferd reiten. Wer war die andere Frau? Ingunn?
    »Das dritte Pferd wird von einer Frau geritten.«
    Das mußte Ingunn sein. Wer war die dritte Frau?
    »Dann haben wir es also mit drei Männern und drei Frauen zu tun.«
    »Ja, so ist es.«
    Magnus stand auf und blickte zum Horizont. »Er reitet zum Oslofjord. Vermutlich wartet dort ein Boot auf ihn. Und ich vermute, er ist gut gerüstet. Er plant, Norwegen zu verlassen.«
    Ragnar trat neben die beiden. »Wie alt sind diese Spuren?«
    Gunnar wandte den Kopf zur Seite.
    Aber Magnus wußte Bescheid. »Sie erreichen den Fjord und das Boot, bevor wir sie einholen können.«
    »Ist sie freiwillig mit ihm gegangen?« fragte Ragnar bissig.
    Magnus wandte sich an ihn und sagte mit leiser Stimme: »Ich weiß, daß du sie nicht leiden kannst. Doch deine Abneigung ist grundlos, Ragnar. Sie hat dich überlistet, das war nicht recht, denn du hattest Mitleid mit ihr, und du hast ihr dein Vertrauen geschenkt. Aber überlege doch mal! Sie stand Todesängste um Lotti aus. Sie hatte nur einen Gedanken, wie sie ihre kleine Schwester retten konnte. Vergiß deinen Groll gegen sie, sonst muß ich mich von einem Mann trennen, der mir viele Jahre wie ein Bruder nahestand.«
    Ragnars Gesicht war starr.
    »Hättest du nicht ebenso gehandelt, wenn deine Schwester in Gefahr wäre? Du hättest ohne Zögern einen Menschen getötet. Stimmts? Sie wollte dich nicht umbringen, sie wollte nur

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