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Im Schatten der Mitternachtssonne

Im Schatten der Mitternachtssonne

Titel: Im Schatten der Mitternachtssonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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drängte sich zwischen ihre Beine. Er lächelte auf sie herab und in seinen Augen funkelte der Triumph.
    Er kam hoch, um sich in Position zu bringen. Sie schnellte hoch, ihre Fäuste trommelten in sein Gesicht. Ihre Fingernägel gruben sich in seine Wangen. Sie spürte, wie sie ihm die Haut aufkratzte, fühlte Blut zwischen den Fingern. Er brüllte vor Wut und Schmerz auf. Seine Hände umklammerten ihre Kehle, und seine Finger drückten zu. In ihrer Brust entstand ein Brennen, das immer stärker wurde. Sie wußte, das war das Ende. Ihre Todesstunde war gekommen. Er stieß wilde Rüche aus. Der Irrsinn hatte nun völlig von ihm Besitz ergriffen.
    Plötzlich lösten seine Finger sich von ihrer Kehle, und ihre Lungen füllten sich wieder mit Luft. Hustend und röchelnd schnappte sie nach Luft.
    »Schnell, Zarabeth!«
    Es war Ingunn. Sie stand über dem bewußtlosen Orm, sein Schwert in der Hand haltend. Sie hatte ihm den Schwertgriff von hinten wuchtig über den Schädel gezogen.
    »Ist er tot?« Zarabeths Stimme war ein heiseres Krächzen. Ihr Hals schmerzte beim Sprechen.
    »Nein. Wir müssen uns beeilen.«
    Zarabeth wälzte den reglosen Körper von sich und sprang auf die Beine. »Ich bin nackt«, sagte sie und blickte ratlos an sich herab.
    »Hier!«
    Zarabeth fing Orms Tunika auf, die Ingunn ihr zuwarf, und zog sie über den Kopf. Sie reichte ihr bis zum Knie und roch nach ihm.
    »Pferde, Ingunn. Wir müssen die Pferde holen, sonst haben wir keine Chance!«
    »Nein, Kol und Bein sind wach, und die Pferde stehen zu nah. Wir müssen zu Fuß los. So können wir uns besser verstecken. Beeil dich, sonst wacht er auf, und wir sind verloren!«
    Zarabeth hätte ihn am liebsten getötet. Sie stand unschlüssig über ihm, dann bückte sie sich rasch und fesselte mit den Lederriemen seiner Stiefel die Hände auf dem Rücken. Dann verschnürte sie ihm auch noch die Knöchel.
    »Beeil dich!«
    Sie blieb noch einen Augenblick stehen. »Er ist wahnsinnig, Ingunn.«
    »Es kümmert mich nicht, komm jetzt! Er wird mich und dich töten, wenn er uns erwischt.«
    Ingunn nahm den Ledergürtel, schob das Schwert in die Scheide und starrte die Waffe an wie eine Giftschlange. Zarabeth nahm ihr den Gürtel aus der Hand, schlang ihn um ihre Mitte und band ihn fest. Er hing ihr schräg an den Hüften.
    Sie rannte barfuß neben Ingunn her. Erst tief im Wald hielten sie inne, beide hielten sich die stechenden Seiten.
    »Warte«, keuchte Zarabeth. »Warte einen Moment, Ingunn.«
    Zarabeth lehnte an einem Baum, ihre Lungen stachen, ihr Atem ging pfeifend, und sie fühlte sich schwindelig. Ihr Magen krampfte sich vor Hunger zusammen. Ingunn war auf die Knie gesunken und hielt den Kopf gesenkt.
    »Warum hast du mich gerettet?«
    Ingunn zog röchelnd Luft in die Lungen.
    Zarabeth wartete. Auch sie keuchte erschöpft.
    »Warum, Ingunn?«
    »Ich habe erkannt, daß er sich geändert hat. Ich habe meinem Vater nicht geglaubt, als er mir sagte, was Orm verbrochen hatte. Ich glaubte, ich kenne ihn. Und ich habe ihn geliebt.« Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Wenn ich mit ihm zusammen war, glaubte ich ihm wieder, selbst als ich schon eine Ahnung hatte, daß etwas an ihm anders war. Ich weiß nicht, was es war. Aber er konnte so ... sanft und heiter sein, zumindest im Umgang mit Frauen. Er hat sich geändert, Zarabeth.« Sie kam auf die Füße und blickte den Weg zurück, den sie gekommen war.
    »Er wird jeden Moment hinter uns her sein. Um mich zu töten. Und dich auch, nachdem er dich geschändet hat. Lauf, wenn dir dein Leben lieb ist.«
    Zarabeth taumelte vorwärts. Es war dunkel geworden, und sie rannten über einen schmalen Streifen Moorland, an das sich wieder ein Föhrenwald anschloß, der sich bis zum Viksfjord hinzog.
    »Schneller«, rief Ingunn ihr von hinten zu. »Er wird uns einholen, bei allen Göttern, ich weiß es.«
    »Nein, wir werden ihn besiegen.« Im Rennen betete sie zu ihrem christlichen Gott und zu jedem einzelnen Wikingergott. Das Stechen in ihrer Seite war unerträglich geworden, sie rannte halb gebückt, hielt sich die Rippen, ihre Kehle brannte, ihr Atem ging stoßweise, röchelnd.
    Sie stolperten auf dem unwegsamen Gelände, stürzten mehrmals, halfen sich gegenseitig hoch und rannten taumelnd weiter.
    Dann hörten sie Pferdehufe, und beide warfen sich flach in den Schlamm des Hochmoors. Zarabeths Hände krallten sich in den Morast. Ihr Gesicht drückte sie in die nasse Erde. Schon einmal war sie so gelegen und hatte

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