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Im Schatten der Mitternachtssonne

Im Schatten der Mitternachtssonne

Titel: Im Schatten der Mitternachtssonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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von wem? Der alte Mann, der von Anfang an gut zu ihr gewesen war, auch zu der Zeit, als sie noch das Sklavenband trug.
    Und dann wußte sie es und begann vor Wut zu zittern. Langsam ging sie durch die Menge, prüfte die Gesichter, sprach den Leuten Mut zu, beschwichtigte sie.
    Ingunn war nicht da, und Zarabeth hatte es geahnt.
    Kurz darauf fand sie Ragnar neben einer der Vorratshütten. Er hatte einen tiefen Schwerthieb in der Schulter, und sein Wams war blutgetränkt. Sie schrie vor Entsetzen und Wut auf und fiel auf die Knie neben ihm. Er war am Leben, hatte aber durch den tiefen Hieb viel Blut verloren. Sie rannte zum Brunnen, hob im Laufen Magnus neue Tunika auf. Einer der Männer zog gerade einen vollen Eimer hoch. Sie tauchte das weiche Tuch ein und wrang es im Laufen aus. Wieder bei Ragnar angekommen, säuberte sie die Wunde, so gut sie es vermochte, und preßte den Stoff darauf, um die Blutung zu stillen.
    Sie war sich ihrer Tränen nicht bewußt, als Magnus ihr seine Hand sanft auf die Schulter legte und beruhigend sagte: »Komm, Zarabeth. Die Männer sollen Ragnar weiter weg tragen, wo weniger Rauch ist.«
    Eine Stunde später standen die Bewohner von Malek immer noch in kleinen Gruppen herum und starrten in die rauchenden Trümmer des Langhauses und auf die Ruinen der Lehmhütten ohne Dächer. Die Palisadenumzäunung war unversehrt. Doch alles andere war zu rauchendem Schutt verkohlt.
    Fünf Tote waren zu beklagen. Ragnar war am Leben, und Eldrid kümmerte sich um ihn.
    Die Tiere waren in Sicherheit gebracht worden, und die Felder waren nicht beschädigt, doch das Anwesen innerhalb der Umzäunung war nahezu restlos zerstört. Zarabeth suchte mit Blicken ihren Ehemann. Er sprach ruhig mit einem Sklaven, einem jungen Mann, dessen Augen vom Rauch gerötet waren. Magnus redete mit anderen Leuten, dann sonderte er sich ab und stieg zum Föhrenwald hinauf. Dort blieb er stehen und sah sich die Vernichtung von oben an.
    Er stand lange dort vor den Trümmern seines Besitzes. Viele Jahre fleißiger Arbeit und Sorgfalt waren zunichte gemacht. Sie hätte ihm gerne gesagt, daß nur Häuser und Balken zerstört waren. Sie hatten fast alle Gegenstände aus dem Langhaus retten können, sogar seine schwere Truhe. Sie würde ihm helfen, alles wieder aufzubauen. Die Ernte war unversehrt, sie waren am Leben, sie hatten ihren Besitz gerettet. Und sie hatten einander.
    Zarabeth wandte den Kopf. Sein Ausdruck von Ohnmacht und hilfloser Wut war ihr unerträglich. Es war kurz nach Tagesanbruch, und bald würden die Leute hungrig sein. Sie befahl einigen Männern, Steine zu einer Feuerstelle aufzuschichten. Dann ließ sie lange Holzpfosten in den Boden rammen, an deren Spitze tiefe Kerben eingeschlagen wurden. In diese Kerben wurde eine Querstange gelegt und Ketten daran befestigt. Nun konnte Zarabeth ihre Töpfe an den Ketten aufhängen. Sie konzentrierte sich ganz auf die Arbeit, um nicht nachdenken zu müssen.
    Ragnar war am Leben, doch jeder wußte, daß es schlecht um ihn stand. Eldrid blieb bei ihm, wischte ihm das Gesicht mit nassen Tüchern, gab ihm schluckweise Wasser zu trinken und wartete auf Helgi und ihre Arzneien.
    Am frühen Nachmittag kamen Magnus Eltern, mit kaum einem halben Dutzend Leuten. Mattias und Glyda waren nicht mitgekommen. Bald wußte man den Grund. Die Gehöfte mußten streng bewacht werden. Dafür hatte Mattias zu sorgen. Niemand wollte einen Überfall Orms auf sein unbewachtes Anwesen riskieren.
    Zarabeth wurde Zeuge eines Gesprächs zwischen Magnus und seinem Vater. Der alte Mann raufte sich die Haare.
    »Bei Thor, daß meine eigene Tochter uns das antun konnte! Wie konnte sie so etwas tun? Hat Orm eine solche Macht über sie?« Er erwartete keine Antwort. Er fluchte kopfschüttelnd vor sich hin.
    Helgi fragte Zarabeth mit leiser Stimme: »Hat niemand Verdacht geschöpft? Hat keiner etwas bemerkt?«
    Zarabeth dachte nach. »Nein«, sagte sie schließlich. »Seit unserer Rückkehr war sie in sich gekehrt, blieb meist für sich. Sie hat keine bösen Reden mehr gegen mich geführt. Sie machte keine spitzen Bemerkungen. Ragnar war hinter ihr her, hänselte sie, gab ihr Anordnungen, aber sie schien sich nicht dagegen aufzulehnen. Wenn ich jetzt nachdenke, war sie zu still, als warte sie auf etwas.«
    »Aber warum?« Helgi schlug sich mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. »Wenn sie bei ihm bleiben wollte, wenn sie Norwegen mit ihm verlassen wollte, hätte sie dich doch nicht zu retten brauchen! Sie

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