Im Schatten der Mitternachtssonne
letzte Monatsblutung gehabt hatte. Das war noch nicht lange her. Damals, als Lotti ertrunken und Egill verschwunden war. Er hob den Kopf und schaute seine Mutter an, die ihren Ehemann angrinste.
Er sagte langsam: »Ich habe Angst.«
Helgi vergaß das Geplänkel mit ihrem Mann. Sie kniete neben Magnus' Stuhl und strich Zarabeth das wirre Haar aus dem Gesicht. Was für eine wunderbare Farbe und so seidig und voll. Zarabeths Augenbrauen waren einen Ton dunkler, ein sattes Rotbraun, und ihre Wimpern waren lang und dicht und von gleicher Farbe. Ihre Wangenknochen waren ausgeprägt, ihre Haut glatt und sehr hell. Helgi dachte an ein kleines Mädchen, das aussah wie ihr Sohn und auch wie Zarabeth, und sie schüttelte den Kopf über ihre dummen Gedanken. »Warum? Sie ist anders gebaut als Dalla, Magnus. Sie hat ein breites, gebärfreudiges Becken.«
»Ich weiß nicht. Wenn ich sie ansehe, denke ich nicht ans Kinderkriegen.«
Sein Vater lachte. »Das verstehe ich sehr gut. Wärst du mit dieser alten Hexe verheiratet, würdest du anders reden.«
»Pah! In deinem Haar sind mehr graue Strähnen als in meinem, alter Mann!«
Magnus blickte auf die rauchenden Überreste seines Heims, das Lachen seiner Mutter klang ihm in den Ohren. Was im Leben auch geschah, wieviel Haß, wieviel Trauer, wieviel Schrecken das Leben auch vorzuweisen hatte, es gab immer etwas Neues, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Er lehnte seine Stirn an Zarabeths Stirn. Er hatte sie gesehen, hatte sie begehrt, hatte kaum einen Gedanken an ihre Wünsche verschwendet. Er war ein Ausbund an Selbstvertrauen und Selbstsicherheit. Er hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, was er sich vom Leben wünschte, er hatte nie daran gezweifelt, daß er sie bekommen würde. Wenn sie ihn mit Absicht betrogen hatte, so hatte er nichts anderes verdient. Und er hatte ihr bislang nur Schmerz und Demütigungen zugefügt.
Nun wuchs sein Kind in ihrem Leib heran. Das war ein furchterregender Gedanke, und gleichzeitig erfüllte er ihn mit unbändiger Freude. Er spürte die Nässe seiner Tränen auf seinem Gesicht.
Zarabeth wachte auf, und sein Gesicht war ganz nah bei ihr. Er blickte sie forschend und besorgt an. »Was ist passiert? Wo bin ich? Ich liege hier auf deinem Schoß und —«
»Du bist in Ohnmacht gefallen.«
Langsam hob sie die Hand, und ihre Finger berührten seine Wange. »Sind das Tränen?«
»Ja.«
»Aber wieso? Ich war nur müde, einfach erschöpft.
Sonst nichts.« Sie lächelte dünn. »Das Leben war in letzter Zeit ein wenig aufregend und nicht sonderlich vorhersehbar.«
Er küßte sie sanft auf den Mund. »Bist du früher schon mal in Ohnmacht gefallen, Zarabeth?«
Sie schüttelte den Kopf. »Unsinn, Magnus, ich bin kein zerbrechliches Püppchen.«
»Das sagt meine Mutter auch.«
»Und warum hast du geweint? Stimmt etwas nicht mit mir? . . . O nein! Was ist mit Ragnar?«
»Er wird wieder gesund. Hast du ein breites Becken?«
»Wenn du mich aufstehen läßt, kann ich mal nachsehen.«
»Halt still.« Er zog sie ein wenig höher und legte seine gespreizte Hand auf ihren Bauch. Bis zu den Beckenknochen blieb reichlich Abstand. »Ich glaube, das genügt. Ich werde meiner Mutter von meinen Nachforschungen berichten und sie fragen, was sie davon hält.«
Zarabeth versuchte, seine Hand wegzuschieben. »Magnus, überall sind Leute! Sie beobachten uns!«
»Ich bin dein Ehemann. Sollen sie ruhig zuschauen.«
»Laß mich aufstehen. Mir geht es gut, und es ist kindisch, auf deinem Schoß zu sitzen in diesem Stuhl . . .« Sie hatte sich beim Sprechen aufrecht hingesetzt. Sie sah ihn an, und plötzlich wurde ihr Gesicht sehr bleich. »O jeh«, sagte sie schwach und sank in seinen Arm zurück. Plötzlich stand Angst in ihren Augen. »Was ist mit mir los? Beinahe wäre ich wieder in Ohnmacht gefallen. Mir ist ganz mulmig . . .«
»Du trägst mein Kind.«
». . . und übel ist mir auch. Diese Übelkeit hatte ich schon mal, und ich dachte, das käme, weil ich solchen Hunger hatte, oder wegen meiner Angst vor Orm, oder weil . . . Was?«
Er grinste. »Nein, rühr dich nicht. Das macht mir zu große Angst. So ist es brav, halt schön still. Du bekommst ein Kind von mir.«
Sie starrte ihn mit offenem Mund an, fassungslos.
Nein, das hier war unwirklich. Wirklichkeit war, daß Lotti ertrunken und Egill verschwunden war; Wirklichkeit war auch, daß sie nackt auf der Erde lag und Orm über ihr . . . »Ich bekomme ein Kind? Bist du sicher?«
»Ja.«
Seine Augen
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