Im Schatten der Mitternachtssonne
ihrem Haar, und sein Stöhnen drang bis in ihre Seele. Das war Geben und Nehmen, dem anderen Lust bereiten und lustvoll geliebt werden. Beide verspürten gegenseitiges tiefes Vertrauen und eine wunderbare Zugehörigkeit.
Tostig fand es und brachte es Zarabeth. Sie saß über einer Näharbeit gebeugt, eine der wenigen häuslichen Tätigkeiten, die Magnus ihr gestattete. Der Tag war heiß, und die Luft war erfüllt vom Lärm der Bauarbeiten, vom Lachen und Fluchen der Männer. Sie hob den Kopf und lächelte. »Ja, Tostig, geht's gut?«
»Ja, Herrin, es ist bloß ...« Er hielt ein Stück Stoff hoch, einen etwa dreißig Zentimeter langen Wollfetzen, ehemals blau, nunmehr von Sonne und Regen zu einem unansehnlichen Grau ausgebleicht.
Sie hob den Kopf. »Was ist das? Wo hast du das gefunden?«
»Unter einer Föhre dort drüben auf der Landzunge. Wir müssen es total übersehen haben, als wir nach Egill suchten.«
Zarabeths Herz schlug laut wie ein Hammer. Ihre Finger befühlten das Tuch. Sie sprang auf die Füße, rief gellend: »Magnus! Magnus!«
Tostig packte ihren Arm. »Es gehörte dem kleinen Mädchen, hab ich recht, Herrin?«
Sie schaute ihn mit irrem Blick an. »Ja, so muß es sein . . . Magnus!«
Er hörte seinen Namen schreien und stürzte los. Sie stand neben Tostig, bleich und schwankend.
»Zarabeth!«
Beim Klang seiner Stimme fuhr sie herum, raffte die
Röcke und rannte auf ihn zu: »Das ist von ihr, Magnus. Es ist von ihr!«
Sie blieb vor ihm stehen, wurde totenbleich und sank zu Boden. Tostig versuchte, sie aufzufangen; doch er verlor das Gleichgewicht, und sie riß ihn mit sich zu Boden.
Sie erwachte auf dem Schoß ihres Ehemannes liegend, der in seinem Stuhl saß, den man unter einer Tanne aufgestellt hatte. »Es gehört ihr, Magnus, es ist von ihrem Kleid, ich weiß es! Sie haben es nicht im Wasser gefunden, sondern an Land, unter einem Baum . . .«
»Es ist möglich, aber du darfst nicht . . .«
»Hat Tostig nicht gesagt, wo er es gefunden hat? Es war nicht am Wasser. Lotti ist nicht ertrunken!«
»Bist du sicher, daß der Wollstreifen von dem Kleid stammt, das Lotti an diesem Tag trug?«
Er sah, daß sie nicht ganz sicher war. Sie atmete schwer, war immer noch zu schwach, um aufrecht zu sitzen. Er hielt sie zärtlich umfangen. »Langsam, ganz langsam.«
»Ich glaube schon. Eldrid muß es wissen. Wenn es Lotti gehörte, hat sie es genäht.«
»Hat sie nicht aus dem gleichen Tuch auch Kleider für die anderen kleinen Mädchen genäht?«
So war es, und Zarabeth nickte zögernd.
»Wir werden sehen. Bring sie her.«
Eldrig kam. Keiner der Wollstoffe, aus denen sie Kleider schneiderte, glich dem anderen genau. Sie besah sich den Wollstreifen genau, schlug die Hände vor das Gesicht und schrie.
Zarabeth blickte in Magnus' Gesicht. »Wo ist sie? In Danelagh mit Egill? Hat Orm sie beide gefangengenommen? Glaubst du, Orm hat sie vor dem Ertrinken gerettet? Glaubst du, er hat damals alles gesehen und sie aus dem Wasser gezogen? Oder vielleicht hat Egill sie gerettet, und Orm hat sie beide dort auf der Landzunge gefangengenommen, wo du und deine Männer es nicht sehen konnten. Aber warum hat er die Zeichnung hinterlassen, auf der nur Egill zu sehen ist, und keine Spur von Lotti? Warum?«
York, Hauptstadt von Danelagh in einem Seitenflügel der Burg von König Guthrum
Die Wikingerkinder belustigten sie. Der Junge, der das kleine Mädchen so sehr beschützte; beide stolz und verschlossen. Sie redeten kaum und wenn, dann nur Egill. Das kleine Mädchen sprach nur den Namen des Jungen. Dieses Wort schien mehrere Bedeutungen für ihn zu haben, je nach Betonung und Aussprache. Sie verständigten sich mit seltsamen Handzeichen, schienen ihre eigene Zeichensprache zu haben, und Cecilia fand das sehr klug. Sie behandelte die Kinder sanft und freundlich, damit sie keine schlechte Meinung von ihr hatten.
Guthrum hatte sie ihr zu ihrem zwanzigsten Geburtstag geschenkt. Lächelnd hatte er gesagt: »Für meine schöne Cecilia zwei sanfte Kinder, die dir zu Diensten sind. Klein und unauffällig, so wird niemand auf dumme Gedanken kommen, wenn sie deine Anweisungen ausführen.«
Sie hatte Juwelen als Geburtstagsgeschenk erwartet und hatte zwei Tage geschmollt, bis sie erkannte, daß ihr Onkel und Geliebter, der König von Danelagh, ihr zwei ausgezeichnete Botengänger geschenkt hatte, die ihre Wünsche jederzeit übermitteln konnten. Niemand achtete auf einen kleinen Jungen oder ein kleines Mädchen, noch
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