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Im Schatten der Mitternachtssonne

Im Schatten der Mitternachtssonne

Titel: Im Schatten der Mitternachtssonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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trat neben sie. Plötzlich erschien ein Kammerdiener des Königs. Hinter ihm wartete eine Frau mit weißblondem Haar. Die junge Frau war seine Tante Ingunn, die Schwester seines Vaters.
    Lotti sah sie und stöhnte erschrocken auf.

27
    Der Morgen war strahlend schön; die Nordsee lag ruhig und glatt. Das große Segel hing flach, um sich in der nächsten Bö der unsteten westlichen Brise jäh mit lautem
    Knall aufzublähen. Zarabeth strich sich das Haar aus dem Gesicht und legte die Hand schützend gegen das gleißende Licht und den Sprühnebel der salzigen Gischt an die Augen. Sie glaubte, in der Ferne York zu erkennen, doch die Umrisse stellten sich als graue Wolkenbank heraus, die sich am Horizont erstreckte. Die Seewind glitt vorwärts, näherte sich mit jedem Ruderschlag der Stadt York, begleitet von kreischenden Seevögeln, die hungrig nach Abfällen Ausschau hielten.
    Eine Möwe stieß herab, ließ sich auf der Reling nieder und plusterte laut kreischend das Gefieder auf. Zarabeth achtete nicht auf den Vogel. Sie erinnerte sich an Ragnar, der an der Spitze der Malekbewohner stand, die den gewundenen Pfad vom langen Holzsteg bis hinauf zu den Palisadentoren säumten. Sie glaubte beinahe, den harzigen Duft der frischen Holzbalken der neu erbauten Häuser in der Morgenluft zu riechen. Alle Leute winkten ihnen zu, riefen Segenswünsche und gute Ratschläge herüber. Ragnar, beinahe wieder hergestellt — nur sein linker Arm lag noch in einer losen Schlinge — stand stumm wie eine Statue. Nach langem Überreden hatte er sich damit einverstanden erklärt, in Magnus' Abwesenheit die Aufsicht über Malek zu führen. Eldrid oblag die Aufsicht über die Arbeiten der Frauen im Langhaus, obwohl sie zeterte und klagte, sie sei zu alt und zu schwach für eine solche Verantwortung. Doch Magnus hatte sie barsch unterbrochen: »Unsinn, Tante. Du bist klug und gerecht. Führe mein Haus in unserer Abwesenheit und halte alles zu unserer Rückkehr bereit.«
    Sie würden Egill und Lotti gesund und wohlauf vorfinden, davon war Zarabeth überzeugt. Ihr starrköpfiger und übertrieben vorsichtiger Ehemann würde sich schon an ihre Gegenwart gewöhnen. Irgendwann würde er aufhören zu schmollen. Er hatte sich schließlich zähneknirschend ihrem Wunsch gebeugt, ihn zu begleiten.
    Am letzten Abend vor seiner Abreise hatte sie ihm fest in die Augen geblickt und ihm dabei feierlich geschworen, daß sie in seiner Abwesenheit Malek verlassen und auf eigene Faust nach York reisen würde.
    Er hatte wütend geknurrt und geflucht und zwei Holzschalen zertrümmert, war wie ein gefangener Bär in der Umzäunung hin und her gestapft, hatte sogar gedroht, sie einzusperren. Schließlich hatte er sich an seine Mutter um Beistand gewandt, die wenige Tage zuvor angereist war. Zu seinem maßlosen Erstaunen hatte Helgi Zarabeths Partei ergriffen. »Es ist ihr gutes Recht«, hatte sie gesagt und dem Sohn sanft mit ihrer schwieligen Hand über die Wange gestrichen. »Das mußt du verstehen, mein Sohn. Lotti ist ihre Schwester, und sie hat den verständlichen Wunsch, das Kind zu suchen und es selber nach Hause zu bringen. Es wäre falsch, ihr das zu verbieten. Sie ist jetzt eine Wikingerfrau, Magnus.«
    Darauf hatte er nichts entgegnet, obgleich wütende Worte und Drohungen ihm beinahe die Kehle zuschnürten. Schließlich hatte er ärgerlich geknurrt: »Aber sie bekommt ein Kind von mir!« worauf die beiden Frauen ihn mit einem nachsichtigen Stirnrunzeln bedachten.
    Nun war ihre Reise bald zu Ende. Ein halber Tag noch, hörte sie Tostig sagen. Vielleicht noch ein ganzer, wenn der Wind ungünstig stand. Zarabeth spürte Magnus' Nähe. Nach einem kurzen Augenblick legten seine Arme sich um sie, und er zog sie an seine Brust.
    »Bald sind wir da«, sagte er und zog sie näher an sich. »Wie fühlst du dich?«
    »Ich fühle mich wunderbar.«
    »Ich habe beschlossen, dir nicht mehr böse zu sein. Es macht mich einsam und bringt mir nur verachtende Blicke der Männer ein. Ich bin es leid, so zu tun, als wärst du nicht bei mir, Zarabeth. Es bringt mir nichts.«
    Sie wandte sich ihm lächelnd zu. »Nein, das tut es nicht, und ich bin froh, daß du mich wieder sehen möchtest. Du hast mir gefehlt, Mann. Ich habe mich nach der Berührung deiner Finger auf meinen Lippen gesehnt — und nach deiner Fülle in mir.«
    Magnus küßte sie zart auf den Mund, dann blickte er ihr forschend ins Gesicht. »Hör mir zu, Zarabeth. Auch wenn wir unserer Sache sicher sind, können

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