Im Schatten der Mitternachtssonne
zerstreut: »Ausgezeichnet. Möchtest du einen Krug Bier?«
Keith nickte und setzte sich an den Tisch. Zu Zarabeth gewandt, meinte er: »Geht es dir gut, Schwester?«
Sie nickte und schenkte ihm Bier ein.
»Und die Kleine?«
»Lotti geht es auch gut.«
Olav hob die Schultern und warf seinem Sohn einen mißmutigen Blick zu. »Sie ist gräßlich, aber was kann ich tun? Grade hat sie mir Milch über den Ärmel geschüttet.«
»Du hättest sie aus der Stadt bringen und ihrem Schicksal überlassen sollen«, sagte Keith in völligem Gleichmut. »Toki hätte es getan.«
Zarabeth richtete sich langsam auf. »Zähme deine grausamen Worte, Bruder, oder du wirst es bereuen.«
Keith breitete die Hände aus. »Beruhige dich, Zarabeth. Toki würde so etwas tun, ich aber nicht.« Dann zog er die Stirn in Falten, als denke er angestrengt nach. »Nein, das stimmt nicht. Im Grunde ist Toki sanftmütig und herzensgut. Und sie ist sehr kinderlieb. Sie würde niemandem weh tun, schon gar nicht einem Kind, auch nicht einem Kind wie Lotti.«
Er war ein Schwächling und hatte keine Augen im Kopf, dachte Zarabeth. Sie konnte sich denken, wie sehr Toki ihn unter der Knute hatte. Sie wandte sich Olav zu, der nun sagte: »Quäle den armen Jungen nicht, Zarabeth, und sprich keine leeren Drohungen aus.« Lachend fügte er hinzu: »Was würdest du ihm denn antun, wenn er dich erzürnt? Schlägst du ihn mit dem Kochlöffel? Erstichst du ihn mit dem Messer? Vielleicht stürzt du dich schreiend auf ihn und reißt ihm die Haare vom Kopf?«
»Nein. Ich habe gedankenlos gesprochen. Mein Bruder ist ein guter Mensch.«
Sie wünschte, sie hätte ihren Mund gehalten und den Männern keinen Grund gegeben, sich über sie lustig zu machen. Lächelnd meinte sie: »Wenn er wirklich böse wäre, würde ich einen Trunk in sein Bier träufeln, der aus seinen Eingeweiden stinkendes Wasser macht.«
Keith sah sie an, dann starrte er auf seinen fast leeren Bierkrug.
»Nein, Keith, ich habe nichts hineingetan. Diesmal nicht.
Hüte in Zukunft deine Zunge. Denn Lotti bekommt jedes Wort mit. Ich möchte nicht, daß man ihr wehtut.«
Keith warf ihr einen mitleidigen Blick zu, den sie nicht bemerkte. Sie räumte den Tisch ab und wusch das Geschirr. Sie hatte keine Angst vor ihm, fühlte sich seltsamerweise sogar zu seinem Schutz berufen. Er hatte Toki nicht verdient, und Zarabeth hielt es für einen Fehler, ihm die Ehe mit dieser Frau aufzudrängen.
Plötzlich schnitt Keiths Stimme scharf wie ein Messer durch die Stille: »Ich hörte von der schwatzhaften Frau des Zimmermanns, daß Zarabeth heute morgen einen Wikinger auf dem Marktplatz vor dem Brunnen geküßt hat.«
Tiefes Schweigen senkte sich über den Raum. Olavs Lippen wurden zu einem schmalen Strich, die Sehnen an seinem Hals traten hervor, und seine Wangen wurden von flammendem Rot überzogen. Keith nickte unsicher in Zarabeths Richtung. »Aha. Es ist also wahr. Ich wollte es nicht glauben, da man dich als kühles Mädchen kennt, Zarabeth, eine Frau, die sich nichts aus schönem Schmuck oder aus Männern macht. Dieser Wikinger ist ein Jarl, wie ich höre, also ein Edelmann. Sein Vater ist ein Anführer und ein mächtiger Herzog. Er ist reich und besitzt große Ländereien in Norwegen.«
»Ja, es ist wahr«, sagte Zarabeth.
»Hast du deine Beine für ihn breit gemacht?«
Zarabeth staunte über Keiths streitsüchtigen Ton, und noch erstaunter war sie über seine Worte. Sie paßten nicht zu ihm. Sie spürte einen Stich, verscheuchte die Furcht aber schnell. Es war Eifersucht, die aus seiner Stimme sprach. Sie blickte zu dem Regal an der Wand, auf dem eine Reihe bedeckter Gefäße stand. »Ich frage mich, wie stark ich dein Tränklein mischen soll, Keith.«
»Also gut, du hast dich nicht von ihm besteigen lassen. Was willst du von ihm?«
Olav sagte unvermittelt: »Schluß mit diesem Wikinger. Er will Zarabeth heiraten, aber sie hat sich noch nicht entschieden, ob sie ihn haben möchte. In drei Tagen wird sie ihm eine Antwort geben.«
Tatsächlich, dachte Zarabeth, während Olav redete, habe ich mich bereits entschieden. Die drei Tage waren ein Zugeständnis an ihn. Seltsamerweise wurde ihr das eben in diesem Moment klar.
Sie hob den Kopf und sah, wie Keith sie gierig mit Blicken verschlang. »Irgend einen Mann muß ich wohl heiraten«, sagte sie kühl. »Magnus Haraldsson scheint eine gute Wahl zu sein.«
»Gehst du mit ihm nach Norwegen?«
»Falls sie ihn heiratet«, antwortete sein Vater mit
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