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Im Schatten der Mitternachtssonne

Im Schatten der Mitternachtssonne

Titel: Im Schatten der Mitternachtssonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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spürte ihre zarten, warmen Atemzüge an seiner Brust. Und seine Gedanken wanderten zu seinem Bruder Jon. Er fragte sich, wohin Jon in diesem Sommer reisen wollte. Er war mit seinem Boot Schwarzer Rabe und zwanzig Männern vor einer Woche in See gestochen. Magnus vermutete, daß er nach Kiew aufgebrochen war, um die Gegend dort zu plündern. Er schlug sich gern mit den Wilden dieser fernen Länder herum, tötete sie oder nahm sie als Sklaven gefangen und scheffelte Gold und Silber mit seinem Geschick als Händler, wenn er sie an Araber und reiche Edelleute verkaufte, die in der goldenen Stadt Miklagard lebten.
    Magnus sehnte sich danach, mit Jon auf Seefahrt unterwegs zu sein, den Wind im Gesicht und das Kampfgeschehen vor Augen. Er wünschte, Zarabeth nie begegnet, von Lottis liebevollem Wesen nie verzaubert worden, nie nach York zurückgekehrt zu sein. Doch es war geschehen, und was geschehen war, war nicht zu ändern. Aber es fiel ihm schwer, das Schicksal hinzunehmen: Lotti und sein kleiner Sohn waren tot. Tot und fortgegangen. Damit konnte er sich nicht abfinden. Das fraß in seinem Inneren und nagte an seinem Verstand.
    Zarabeth bewegte sich, stöhnte leise, und er festigte seine Umarmung, küßte ihre Schläfe. Sie war sein Weib.
    Am Morgen des dritten Tages trafen seine Eltern Reisevorbereitungen.
    »Ich habe Zarabeth in vielen Aufgaben unterwiesen«, erklärte Helgi ihrem Sohn. »Sie ist ein kluges Mädchen, und sie ist willig. Du hast eine gute Wahl getroffen, Magnus.« Sie strich ihrem Sohn sacht über den Arm. »Aber sie leidet sehr und ist in tiefer Trauer. Sie versucht es zu verbergen, aber es fällt ihr sehr schwer. Ich habe sie beobachtet und weiß, daß sie sich tief in ihr Inneres einschließt; nur dort kann sie ihren Schmerz ertragen. Dir fällt es weniger schwer, deine Gefühle zu verbergen, doch auch dein Schmerz sitzt sehr tief. Ihr zwei könnt miteinander genesen, könnt euch gegenseitig gesund machen, wenn du es nur zulassen würdest. Ich nehme nicht an, daß du ihr gesagt hast, was sie dir bedeutet.«
    Er schüttelte den Kopf. »Sie bedeutet mir nichts«, sagte er mit fester Stimme, und die Unaufrichtigkeit seiner Worte war so deutlich, daß seine Mutter den Kopf abwandte, um ihr Lächeln zu verbergen. »Es ist wahr. Ich hatte keine andere Wahl. Ich war verantwortlich für alles, was geschehen ist. Ich habe nur meine Pflicht getan. Ich konnte nicht zulassen, daß Lottis Schwester weiterhin meine Sklavin bleibt.«
    Helgi setzte ihren Gedankengang fort, als habe er nichts gesagt. »Zarabeth ist ein Mädchen, das nicht viel Zuneigung erhalten hat, zumindest nicht nach dem Tod der Mutter. Deshalb hat sie all ihre Liebe dem Kind gegeben. Wenn du es zulassen würdest, würde sie diese Liebe auf dich übertragen. Kannst du dir eine solche Liebe vorstellen?«
    »Sie muß mir ihre Liebe geben, und sie wird es tun. Sie ist meine Ehefrau. Sie schuldet mir Treue. Sie hat es mir versprochen, wie du dich erinnerst.«
    »Du warst schon als Knabe sehr eigensinnig«, stellte Helgi beinahe belustigt fest. »Aber mein Sohn, Tatsachen haben die Angewohnheit, sich nicht verleugnen zu lassen. Verschließ deine Augen nicht zu lange, Magnus.« Helgi küßte ihn. Dann ging sie zu Zarabeth am anderen Ende des großen Raumes und schloß sie in die Arme. »Denk daran, Waidfärben ist sehr mühsam und eine stinkende Angelegenheit. Aber nachdem du das Tuch zweimal gespült hast — vergiß nicht, zwei Mal — kommt die schöne blaue Farbe zum Vorschein, und du wirst wissen, daß alle Mühsal sich gelohnt hat. Blau ist eine Farbe, die Magnus gut kleidet. Es unterstreicht das Blau seiner Augen.«
    »Zwei Mal«, nickte Zarabeth und schenkte ihrer Schwiegermutter ein dünnes Lächeln.
    Helgi blinzelte. Es war das erste Mal, daß sie bei Zarabeth den Anflug eines Lächelns sah. Es verwandelte ihr Gesicht. Sie schickte ein stummes Gebet zu den Göttern und wandte sich ihrem Ehemann zu.
    Ingunn verließ Malek mit den Eltern. Bevor sie ging, zischte sie Zarabeth zu: »Ich werde einen Weg finden, mich zu rächen, du Hure. O ja, ich finde einen Weg.«
    Zarabeth starrte sie schweigend an. Ingunn verschwand aus ihrem Leben. Sie mußte sich nie wieder mit ihr abgeben.
    Auf Malek lebten und arbeiteten zwar fünfzig Menschen, dennoch kehrte bedrückende Stille ein, nachdem Magnus Eltern samt Gefolge abgereist waren. Magnus und seine Männer brachen zur Jagd auf und Zarabeth suchte, wie jeden Morgen, das Heiligtum auf. Es war ein kleiner

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