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Im Schatten der Mitternachtssonne

Im Schatten der Mitternachtssonne

Titel: Im Schatten der Mitternachtssonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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ungeduldig oder schroff.
    »Deine Familie in York war klein, und du konntest vieles kaufen oder gegen andere Waren tauschen. Aber hier müssen wir alles selber machen, denn fahrende Kaufleute kommen selten und unregelmäßig. Man kann sich nicht darauf verlassen. Du mußt auch Tuch färben können . . . siehst du dieses schöne rötliche Braun? Das gewinnen wir aus der Wurzel der Krapp-Pflanze. Farne und diese kleinen Zwiebeln ergeben ein helles Braun. Und diesen schönen Goldton erhalten wir aus Flechten. Du kommst aus Irland, Zarabeth. Sicher kennst du Safran, dieses satte Gelb, das uns die Blütenstände der Herbstzeitlose liefern.«
    Zarabeth hörte ihrer Schwiegermuter aufmerksam zu, sie lernte mit Eifer, trotz der Leere in ihrem Innern, trotz der nagenden Gewissensbisse, die sie ständig quälten.
    Helgi zeigte ihr, wie man Fische trocknete. Sie hielt eine frisch ausgenommene und gewaschene Forelle hoch. »Wir trocknen sie in Rauch und salzen sie ein. In den Herbst- und Winterstürmen können die Männer nicht zum Fischen aufs Meer hinausfahren. In diesen Zeiten brauchst du einen guten Vorrat an Trockenfischen, damit niemand hungern muß. Schau gut zu, Zarabeth. Du spreizt diese Holzstücke in den Fisch, damit die Luft überall an ihn herankommt, und dann hängst du ihn an den kleinen Stöcken auf, die du ihm zwischen die Kiemen steckst.«
    Helgi lehrte sie Flachs kämmen und alle Knötchen und Verfilzungen daraus zu entfernen. Zarabeth konnte das Spinnrad bedienen und Fäden spinnen, doch Helgi zwirbelte die Fasern fester zusammen; ihr Faden war stärker und dauerhafter.
    Ingunn verrichtete nur die Arbeiten, die ihre Mutter ihr auftrug. Zorn und Haß waren von ihr gewichen. Ihr Gesicht war ohne Ausdruck und seltsam leblos. Diese völlige Starre beunruhigte Zarabeth mehr als ihre früheren Wutanfälle.
    Cyra hatte sich für Horkel entschieden und eröffnete Zarabeth ihre Wahl. Sie schien zu vergessen, daß sie Sklavin war; schließlich war Zarabeth ebenfalls Sklavin gewesen, auch wenn sie nunmehr die Herrin auf Malek war. Tagsüber würdigte Horkel seine Cyra keines Blickes, doch jeden Abend packte er sie bei der Hand und zog sie aus dem Langhaus. Am Morgen lächelte sie, mit sich und der Welt zufrieden. Magnus schwieg, und sein Schweigen bedeutete Einverständnis mit allem, was Horkel tat.
    Cyra verrichtete ohne Murren die Arbeiten, die Zarabeth ihr auftrug. Auch das übrige Gesinde und alle Sklaven erkannten Zarabeth als Herrin an.
    Das Leben ging weiter, so selbstverständlich, als sei nichts geschehen. Nur Zarabeth weigerte sich, das Schicksal hinzunehmen. Sie sträubte sich mit jeder Faser ihres Daseins dagegen, so zu tun, als sei alles wieder normal. Sie sah, wie Männer und Frauen miteinander redeten, lachten und zankten. In ihrer Niedergeschlagenheit zog sie sich völlig in sich selbst zurück. Sie arbeitete und beaufsichtigte das Gesinde, wie es ihre Pflicht war. Aber sie sonderte sich ab, blieb unbeteiligt. Dennoch gab ihr die Arbeit, die Eintönigkeit stets wiederkehrender Aufgaben und Handgriffe Trost, sie stumpften ihren Verstand ab.
    Tante Eldrid saß wieder an ihrem Webstuhl. Sie verrichtete keine anderen Arbeiten. Und sie war eine sehr kunstfertige Weberin. Sie spielte mit den Kindern, unterwies die Mädchen in Handarbeiten. Um ihren Mund hatten sich noch tiefere Falten gegraben, und ihre Augen waren ohne Leben. Helgi mied ihre Schwester, und Zarabeth registrierte das Verhalten mit einiger Verwunderung.
    Sie arbeitete, bis sie zu erschöpft war, um etwas zu essen. Magnus redete nicht mit ihr darüber. Wenn sie ins Bett fiel, legte er nur seine Arme um sie und hielt sie fest. Für Magnus war das Leben noch nie so unbeherrschbar gewesen. Und noch nie hatte er solche Qualen ausgestanden. Sein kleiner Sohn mußte mit acht Jahren sterben. Er war ihm entrissen worden. Er ließ sich seine Pein nicht anmerken, doch manchmal zweifelte er daran, ob er seinen Schmerz überstehen würde. Und in den langen, schlaflosen Nachtstunden suchten ihn die Erinnerungen heim.
    Er hatte nicht viele Sommer auf dem Gehöft verbracht, denn dies war die Zeit der Seefahrer und Handelsleute. Seit früher Kindheit war er in diesen Monaten unterwegs. Dies war der erste Sommer seit fünf Jahren, den er hier mit Jagen und Feldarbeit verbrachte. Wie Zarabeth fand auch er Trost und Erleichterung in unermüdlicher Arbeit. Und er wußte, er durfte sie noch nicht alleine lassen. Es war noch zu früh. Er lag im Bett neben ihr und

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