Im Schatten der Schlange
sind stärker…«, murmelte er und widmete sich wieder ganz seinem Beutel.
Schließlich hatte er ihn offen und nahm getrocknete Blätter heraus, die er brach und den Gefährten reichte.
»Kauen«, sagte er wankend. »Alle…«
»Hast du einen Plan?« fragte Nottr.
Der Schamane nickte und deutete auffordernd auf die Blätter. »Ist weniger, als ich genommen habe…«
»Ist es gut, wenn wir alle die Gewalt über uns verlieren?« fragte er. »Sollten nicht ein paar…?«
Der Schamane winkte ab. »Alle.«
»Also gut. Ich nehme an, du weißt, was du tust.« Nottr kaute die Blätter, und schon kurz darauf begann er sich zu fühlen wie nach einem ganzen Krug Opisbrühe. Er war frei, aber nicht sicher auf den Beinen. Den anderen ging es offensichtlich ebenso, der Art und Weise nach zu schließen, in der sie auf die Beine zu kommen suchten. Aber immerhin konnte er noch klar denken – wenigstens hatte er diesen Eindruck.
Und er hatte noch einen anderen Eindruck: Das wohlige Gefühl der Sattheit war verschwunden! Er hatte Hunger.
»Na, was spürt ihr?« fragte Calutt.
»Hunger«, sagte Lella verwundert, und die anderen nickten.
»Nicht wirklich! Hab’ ich ja gesagt«, stellte der Schamane selbstgefällig fest. »Ich weiß nicht, warum die Finsternis unsere Welt erobern will. Die könnten sich ihre eigene schaffen… mit genügend Phantasie… Tasman und Imrirr! Was könnten wir alles mit diesen Kräften tun…!«
»Größere Dörfer erobern und bessere Beute machen«, sagte Kellet und erntete einen unfreundlichen Blick vom Schamanen.
»Wir wären beinah in die Falle gegangen«, fuhr Calutt fort. »Und jetzt werden wir die Falle verlassen…!«
»Wie stellst du dir das vor? In diesem Zustand würden wir die Stiege hinabfallen, selbst wenn wir die Tür finden könnten und sie offen wäre«, knurrte Baragg unter beifälligem Murmeln.
»Ganz einfach. Diese Wand hier… Nottr, komm her… denk nicht an die Wand… denk an draußen… dann ist es ganz leicht. Siehst du?« Er ließ seinen Arm in der Wand verschwinden und zog Nottres Arm mit sich. »Kein Fleisch… keine Wand… das ist die Wahrheit dieser Opisblätter.«
Die Lorvaner starrten benommen auf die beiden halb im Stein verschwundenen Gestalten. Als die beiden ganz verschwanden, kam Bewegung in die Gruppe. Keir lachte unterdrückt, als er in die Steinwand tauchte. Andere stimmten ein. Das war ein kurzer, trockener Umtrunk gewesen.
*
Die vier Wachen, die O’Braenn an der Tür der Gefangenen postiert hatte, waren bis in die äußersten Haarspitzen voll Unbehagen. Sie wußten nicht, wohin der Priester ihre Gefährten geführt hatte. Sie standen allein in der mit sinkender Sonne noch zunehmenden Düsternis dieses unheimlichen Korridors, und nicht einmal der Griff an das kühle Eisen ihrer Waffen beruhigte sie spürbar. Da waren allerlei Geräusche jenseits der steinernen Wände, die alles andere denn anheimelnd klangen – Stöhnen, Flüche und nicht klar erkennbare Laute, bei denen sich die Nackenhaare aufstellten und eine Gänsehaut den Rücken hinablief, so daß ihnen bald so kalt ums Herz war wie noch kurze Zeit zuvor ihren Knochen unten in der Opferhalle. Keiner sagte etwas, aber jeder konnte am Gesicht des anderen wie in einem Spiegel seine eigene Furcht sehen. Das Unbehagen wurde nicht geringer, als diese Dämonisierten ihnen und den Gefangenen zu Essen und Trinken brachten. Das Essen wärmte sie schließlich ein wenig von innen her auf, und sie begannen eben, den Bierkrug zu stemmen, denn für die meisten Caer war dieses Getränk nichts Ungewöhnliches, wenn sie es auch nicht um diese Jahreszeit erwartet hätten.
Da tauchte ein verwildertes, gerötetes Gesicht mit funkelnden Augen mitten in der Steinwand auf. Es grinste die Caer an, die den Krug fallen ließen und erstarrt standen. Aber sie waren Hochländer und vertraut mit alten Stammesgeistern auf ihren Ritterschlössern und Clansitzen. Sie wichen zurück und starrten in Ehrfurcht, bis ihnen bewußt wurde, daß es ein Barbarengesicht war.
Darin erschien ein zweites daneben, und die Caer brachten kein Wort hervor, während die Lorvaner einer nach dem anderen durch den Stein kamen und in aller Lebendigkeit vor ihnen standen – wankend wie nach mehreren Krügen. Einige der Lorvaner kicherten wie alte Weiber über die Verblüffung der Caer.
Urgat sagte, wobei er Mühe hatte, die Worte zu formen: »Wollen wir sie nicht einreihen in die Reihen der Erleuchteten?«
Calutt nickte kichernd.
Nottr
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