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Im Schatten der Schlange

Im Schatten der Schlange

Titel: Im Schatten der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Walker
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meinte: »Sollten wir nicht wenigstens ein paar mit klarem Verstand unter uns haben?«
    »Wir sind klar genug«, widersprach Urgat. »Was nützen sie uns, wenn wir sie bei jedem Raum draußen lassen müssen?«
    Der Schamane gab den Caer ein wenig der Opis-Blätter. Sie nahmen es mißtrauisch.
    Einer sagte: »Ich kenne das Kraut. Es bringt einen um den Verstand…«
    »Ist nicht viel verloren!« grölte Urgat, begleitet von schallendem Gelächter.
    »Nehmt es. Ihr müßt es kauen und schlucken…«
    Sie zögerten, aber da auch Nottr auffordernd nickte und sie außerdem nicht ohne Neid auf die unbekümmerte Fröhlichkeit der Barbaren sahen, schoben sie es in den Mund. Eine Weile waren sie mit dem Kauen beschäftigt, danach mit der sofort einsetzenden Wirkung, und als sie wieder halbwegs auf den Beinen stehen konnten, waren die Barbaren verschwunden.
    »Habt ihr auch gesehen, was ich gesehen habe?« fragte einer. »Hat uns dieser Schamane wirklich etwas gegeben, oder war etwas in dem Fleisch…?«
    »Fleisch…? Mir knurrt der Magen, als hätte ich seit Tagen nichts gegessen…«
    Ein Gesicht erschien in der Wand vor innen, dazu ein Arm, der winkte.
    »Kommt schon, wir wollen uns alles ansehen, bevor die Wirkung nachläßt. Calutt sagte, daß es den Tempel wahrscheinlich gar nicht gibt… daß wir ihn nur sehen, weil wir glauben, daß er da ist. Er meint, wir sollten uns umsehen, solange wir noch daran glauben…«
    Die Caer wußten nicht recht, was sie davon halten sollten, aber sie waren auch nicht mehr in der Verfassung, sich allzu viele Gedanken zu machen. Vermutlich hatte das Kraut alle bereits vollkommen um den Verstand gebracht.
    Aber es war ein außerordentlich großartiges Gefühl, um den Verstand gebracht zu sein. Die instinktive Furcht und das Unbehagen waren nämlich verschwunden, als wären sie auch nur Einbildung gewesen.
    Sie gingen auf die Wand zu, und als ihre unsicher tastenden Finger einmal erkannt hatten, daß gar nicht da war, was ihre Augen sahen, torkelten sie hinter den Lorvanern her. Die Mauern waren dick, und die Männer tasteten blind herum, weil sie nichts sahen. Dann standen sie aufatmend im nächsten Raum. Der war eine Vorratskammer. Ein manngroßes Faß stand an einer Wand, verschiedene Krüge an der anderen, Beutel verschiedener Größe an der dritten.
    »Wein!« rief einer der Lorvaner und eilte auf das Faß zu, gefolgt von den meisten anderen.
    »Er ist so wenig wirklich wie die Wand, durch die wir gegangen sind«, erklärte Calutt.
    Das klang logisch, und alle hielten inne, bis auf den ersten, der das Faß bereits erreicht hatte und bemüht war, den Spund herauszuziehen. Die anderen sahen ihm unschlüssig zu, wie er seinen Mund in den herausschießenden Strahl brachte und mit kräftigen Schlucken trank.
    »Der ist echt!« rief ein anderer und schloß sich dem Trinker an.
    In der Tat war der Wein echt genug und schmeckte ausgezeichnet. Dennoch achtete Nottr darauf, daß jeder nicht mehr als ein paar Schlucke nahm. Zuviel davon mochte mit dem Opis zusammen leicht damit enden, daß sie alle nicht mehr in der Lage waren, überhaupt etwas wahrzunehmen. Auch die übrigen Vorräte – Mehl, Öl, Honig, Salz – waren wirklich genug, was Calutts Vermutung, daß der ganze Tempel gar nicht wirklich existierte, sehr in Zweifel zog.
    Das Plünderherz der Lorvaner schlug jedenfalls höher bei dem Anblick all dieser Vorräte. Sie füllten ihre Wasserbeutel mit Wein und stopften Salzkristalle in die Vorratsbeutel.
    »Wir kommen wieder zurück«, sagte Urgat. »Dann könnt ihr immer noch nehmen, was ihr tragen könnt.«
    Es gab noch einen weiteren Raum in der Mitte des Tempels. Aus ihm war das Stöhnen gekommen und die anderen, weniger menschlichen Geräusche. Es war sehr dunkel, nur von weit oben kam Licht. Erst als sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, vermochten sie vage Umrisse zu erkennen.
    Es war kalt – dieselbe markgefrierende Kälte wie unten im Opferraum. Das Stöhnen war von einer Frauenstimme irgendwo vor ihnen gekommen. Jetzt, als sie alle in den Raum drängten, war sie verstummt.
    »Helft mir!« rief sie. »Oh, bitte, helft mir!«
    Die Eindringlinge traten neugierig näher.
    »Bleibt stehen!« rief die Stimme. »Um Erains willen bleibt stehen! Der Boden…!«
    Nottr, der einer der vordersten war, hielt schwankend an. Vor ihm war eine große kreisrunde Öffnung im Boden. Mit wachsendem Schwindelgefühl starrte er hinab auf den Altar der Opferhalle, der fahl erhellt war. Nottr

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