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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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»Kälbchen«.
    In ihrer Begeisterung schrieb Mariana an ihre Eltern: »Geliebte Eltern, ich hab mich in einen schönen Schwaben verliebt. Keine Sorge, ich hänge meinen Beruf nicht an den Nagel und werde Hausfrau. Zum Glück ist der Kerl verheiratet und hat, soviel ich weiß, irgendwo Weib (und Kind?). Aber leider gefällt er mir sehr. Malen tut er auch sehr gut. Stellt Euch vor, sie haben mir den Octavian im ›Rosenkavalier‹ angeboten. Da müsst Ihr zur Premiere unbedingt kommen. Viele, viele Küsse, Eure fast schon schwäbisch verwirrte Tochter Mariana.«
    In Stockholm war man über diesen Brief etwas erschrocken. Nur Alexej meinte brüderlich schnöde: »Höchste Zeit. Dann weiß sie endlich, wovon sie singt.«

    Nach ihrem schmucken Orlofsky galt Mariana als Spezialistin für alles, was als weibliches Wesen auf der Bühne Hosen trug und nicht gerade hohen Sopran oder kellertiefen Alt sang. Da der ›Rosenkavalier‹ als Festspielaufführung erst für den Sommer geplant war, übertrug man ihr schon vorher zwei andere Rollen, zum einen den Hänsel, zum anderen den Orpheus. Bei ›Hänsel und Gretel‹ von Humperdinck erschien ihr der Text zunächst herztausig und naiv, aber dann bezaubertesie doch die märchenhafte Lauterkeit der Musik. Bei ›Orpheus und Eurydike‹ von Gluck gab es ein anderes Problem: An bestimmten Stellen bekam Mariana vor lauter Ergriffenheit immer wieder einen Kloß in die Kehle, so dass sie Mühe hatte, ruhig weiterzusingen. Bei den Proben hieß es bald: »Vorsicht, Taschentuch!«, dann musste Mariana lachen, und die Stimme schwankte nicht mehr.
    Etwas Schöneres als die Arbeit an diesem Opernhaus konnte sich Mariana nicht vorstellen. Sie genoss die Proben, und wenn sie abends Vorstellung hatte, war sie oft ganz überwältigt vor Freude. Sie hatte einen herrlichen Beruf. Und in ihrem privaten Leben, da hatte sie ihren Andreas. Was für ein Glückskind sie war.
    Ihr geliebter Freund holte sie häufig von der Oper ab. Mariana musste ihm erzählen, er wollte alles wissen, ging ganz auf sie ein. Wenn sie ihn fragte, was er den Tag über getrieben habe, lachte er: »Was tut ein Maler schon? Er wartet auf Eingebung. Ach was, auf dich hab ich gewartet, Moggele.« Eins fiel Mariana auf: Andreas hatte nie Eile. Immer hatte er Zeit für irgendwelche Unternehmungen. Durch ihn fand sie auch Geschmack am Spazierengehen, was im schönen Stuttgart naheliegend war, aber vor lauter Arbeiten war sie bisher nicht dazu gekommen.
    Am liebsten fuhren sie mit der Straßenbahn hoch zum Frauenkopf, einfach schon darum, weil dort hinter einer Kurve auf den Schienen immer ein großer Schweizer Sennenhund lag. Die Straßenbahn musste jedes Mal anhalten, schließlich erhob sich das schwarze Riesentier langsam und würdevoll und machte für einen Augenblick so viel Platz, dass die Straßenbahn vorbeifahren konnte.
    Auf der gegenüberliegenden Seite lag Andreas’ Lieblingscafé, dort kehrten sie auf dem Rückweg von ihrem Waldspaziergang ein. Sie mussten nämlich einen Besuch abstatten. Beim ersten Mal hatte Andreas zu Mariana gesagt: »Ich muss dich unbedingt mit meinem Freund bekanntmachen.« DerFreund hieß Loro und war ein grüner Papagei. Wenn er Andreas sah, schlug er begeistert mit den Flügeln und krächzte »Didi«. Bald konnte er auch »Ana« sagen. Das hatte ihm Andreas heimlich beigebracht, während Mariana auf den Proben war. Sie fiel ihm um den Hals: »So eine Idee kannst nur du haben.«
    Manchmal besuchte Mariana den Malerfreund in seinem Atelier, einem recht komfortablen Holzhaus in einem sehr großen Garten. Das Grundstück lag zwischen zwei Straßenzügen, vorne, mit Blick auf die Stadt, stand eine mächtige Villa aus der Gründerzeit, ein hinteres, ebenfalls stattliches Tor führte zum Atelier. Einmal begegnete Mariana dort einer hoheitsvollen Dame, die sie unfreundlich, fast verächtlich musterte. »Wer war denn das, warum hat die mich so giftig angeschaut?«, fragte Mariana ihren Geliebten. »Wahrscheinlich meine Hausbesitzerin, eine alte Schreckschraube«, antwortete Andreas gelangweilt.
    In dem Atelier hingen, standen und lagen überall Bilder herum, die meisten schienen noch nicht ganz fertig. »Das kommt schon noch«, sagte Andreas. Ein mittelgroßes Bild auf einer Staffelei liebte Mariana besonders. Es war ein Seestück mit türkisblauen, aufgewühlten Wellen, am Horizont ein weißes, geblähtes Segel gegen dahintreibende rosa-orangefarbene Wolken. »Wenn’s dir so gut gefällt, schenk ich

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