Im Schatten der Tosca
stehen.
Zunächst kamen aus Rom noch einigermaßen beruhigende Nachrichten, vor allem hatte Martina sämtliche Vorstellungen durchgestanden. Und die Kritiker waren beeindruckt. »Der eine schwärmt von ihrem ergreifenden Einfühlungsvermögen in die Hoffnungen und Ängste einer Todgeweihten, der andere preist ihre erschütternde Art, wie eine Kerze noch einmal aufzuflackern und dann zu verlöschen. Sie gilt jetzt als Sterbespezialistin«, rief Umberto angewidert ins Telefon.
Er war Elias Gewährsmann, bei Massimo oder gar Martina anzurufen, getraute sie sich kaum. Martina war nicht davon abzuhalten gewesen, ganz Rom nach hübschen Möbelstücken zu durchkämmen für die zukünftige Wohnung in der Via Giulia. Was immer sie gesucht haben mochte, schließlich entdeckte sie einen wunderschönen Jugendstilschreibtisch für Massimo und kaufte ihn auf der Stelle. »Sie hat ihre halbe Gage dafür hingeblättert. Richtig gespenstisch, so, als möchte sie etwas von sich bei Massimo zurücklassen. Jetzt geht es ihr gar nicht gut. Massimo möchte, dass sie in Rom bleibt, aber sie meint, sie würde zu Hause schneller wieder gesund, sie seien eine große Familie, irgendjemand könne immer nach ihr schauen«, berichtete Umberto.
Die spärlichen Gespräche mit Carlos konnten Elia auch nicht aufmuntern. Er war gerade in Madrid und enorm beschäftigtwie immer. Sie plauderten über das Wetter, die Proben, als sei auch mit ihnen alles wie immer. Aber das war es nicht. Nur als ihm Elia von Martina und Massimo erzählte, zeigte sich Carlos ehrlich erschrocken und seine Stimme hatte wieder den alten, herzlichen Klang. Er versuchte Elia zu trösten und zu beruhigen, er machte sich Sorgen um sie und schlug spontan vor, auf einen Sprung nach Glyndebourne zu kommen. Aber zehn Minuten später rief er kleinlaut zurück, er hätte in seinem Terminkalender nachgesehen und beim besten Willen für die nächsten Wochen keinen freien Tag ausfindig machen können. So war das eben, und so würde es auch bleiben, ein normales Privatleben war bei ihnen beiden einfach nicht möglich.
Dann rief Massimo an: »Ich habe Martina zu ihren Eltern gefahren. Sie ist so schwach, dass sie kaum mehr gehen kann, aber sie schmiedet unverzagt Pläne. Seit ihrer Mimi bekommt sie mehr Angebote denn je, lauter zarte, zerbrechliche Pflänzchen, sterbend allesamt. Herrgott noch mal, warum müssen so gut wie alle hübschen jungen Frauen in den Opern zum Sterben verurteilt sein, mich kotzt das inzwischen regelrecht an! Ja, und Martina, weißt du, ich werde da nicht schlau: Ahnt sie etwas oder nicht? Irgendwie hab ich den schrecklichen Verdacht, sie wollte zu ihren Eltern, damit ich nicht sehe, wie sie immer mehr zerfällt.«
Niedergeschlagen stieg Elia auf ihr Fahrrad und fuhr einfach los, ohne etwas zu hören und zu sehen, nicht einmal, dass es zu nieseln angefangen hatte. Erst als ein Auto unmittelbar vor ihr zum Stehen kam, blickte sie auf. Es war der graue Rolls-Royce. Aus dem Fond sprang behände Jens Arne Holsteen heraus: »Meine Güte, Signora Corelli, ist Ihnen etwas passiert, wie sehen Sie denn aus?« Tagelang hatte Elia ihren Kummer in sich hineingefressen und nach außen hin tadellos funktioniert. Jetzt war sie so überrumpelt, dass sie sich nicht länger beherrschen konnte. Aufschluchzend wie ein Kind, das sich endlich einem Erwachsenen anvertrauen kann, sank sieJens Arne an die Brust und stammelte: »Martina, Martina muss sterben. Warum kann ihr niemand helfen?« Auch Jens Arne war jetzt etwas verwirrt, hilflos-väterlich tätschelte er Elias nassen Kopf: »Na, na, na.« Jetzt stieg auch noch der Chauffeur aus dem Wagen und spannte einen riesigen Schirm über den beiden auf. Er war es auch, der vorschlug, das Rad im Kofferraum zu verstauen und Elia erst einmal in Jens Arnes nahe gelegenes Landhaus zu fahren.
Bald saß sie dort am Kamin, in ein schottisches Plaid gehüllt, vor sich die unvermeidliche Tasse Tee, zu der Jens Arne noch zwei doppelte Whiskys einschenkte: »Das wird Ihnen wohltun.« Die Rolle des fürsorglichen Beschützers stand ihm gut. Elia lechzte nach Trost und Mitgefühl. Treuherzig erzählte sie die bewegende Geschichte von Martina und Massimo und fand bei Jens Arne ein verständnisvolles Ohr. Er bedauerte die beiden, vor allem auch Elia gebührend: »Wie furchtbar für ein sensibles Menschenkind wie Sie, dieses Leid miterleben zu müssen.« Schließlich stand er auf und sagte streng, mit einer knappen Verbeugung vor Elia: »Jetzt wird Sie
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