Im Schatten der Tosca
mein Fahrer heimbringen, eine Erkältung können wir uns nicht leisten. Verzeihen Sie mir, wenn ich so über Sie verfüge, aber jetzt fühle ich mich noch viel mehr als bisher für Sie verantwortlich.«
Es war Zufall gewesen, dass sich Elia und Jens Arne an diesem Nachmittag begegnet waren, aber für Jens Arne hätte es sich nicht besser fügen können. Elia hatte ihm von Anfang an sehr gut gefallen, als Sängerin wie auch als Frau, und dass sie ganz offensichtlich mit Carlos liiert war, spornte sein Interesse nur an.
In London hatte Elia nur Augen für Carlos gehabt, und so hütete sich Jens Arne davor, ihr als Mann imponieren zu wollen. Er verfügte über subtilere Waffen, mit denen er erst einmal die Sängerin Elia für sich einzunehmen begann. Und weil er als Musiker von Elias Ausdruckskraft hingerissen war, hatte er damit Erfolg. Während der szenischen Proben hielt ersich nur sporadisch in Glyndebourne auf, und bei ihrem ersten Zusammentreffen wirkte Elia wie nicht ganz anwesend, unzugänglicher, als er sie in Erinnerung hatte. Da galt es, doppelt vorsichtig zu sein. Und dann diese unerwartete Begegnung! So elegant und rasch hätte er die Dinge niemals ins Rollen bringen können. Jetzt konnte er sich ruhig etwas Zeit lassen, in seinem Alter galt es nicht mehr, das Opfer so schnell wie möglich zu erlegen. Fast im Gegenteil, im sanften Verführen lag der eigentliche Reiz.
Elia war für ihn ein Ausnahmefall, unter keinen Umständen wollte er sie verprellen. Denn sosehr sie ihn reizte als Frau, so kühne, langgehegte Pläne hatte er mit ihr als Sängerin: Er wollte sie in den großen Rollen von Donizetti, Bellini und Cherubini, von Verdi und Puccini, vielleicht sogar Wagner und Strauss zur Ekstase treiben, da fühlte er sich auf sicherem Terrain.
Als Erstes beschloss Jens Arne, Elia zu sich nach Hause zum Abendessen einzuladen. Elia kam gerne, sie hatte sich in dieser schlimmen Situation doch sehr einsam gefühlt und war froh, sich nun bei Jens Arne ausweinen zu können. Es schmeichelte ihr, wie aufmerksam und einfühlsam er sich um sie bemühte, das hatte sie bei keinem anderen der berühmten alten Dirigenten erlebt. Georges Goldberg war zwar reizend zu ihr, aber doch eher wie zu einem Kind, das man mag, aber von dem man nicht unbedingt wissen will, was es vom Leben hält. Marcello Rainardi fragte sie gelegentlich, wie es Mariana erging, oder er bat sie, Grüße an sie auszurichten, das war seine Art einer persönlichen Anteilnahme. Elia hatte sich nie darüber gewundert, sie war auch auf keinen engeren Kontakt zu Marcello erpicht. Wie viele andere Sänger hatte sie ein wenig Angst und schrecklich viel Respekt vor diesen Dirigierungeheuern, jedenfalls den alten.
Ohne darüber weiter nachzudenken, rechnete sie auch Jens Arne zu diesen Alten. Doch wer weiß, vielleicht war es gerade das, was ihr an ihm imponierte: seine Erfahrung als Musikerund sicherlich auch als Mensch, seine Manieren, auch die altmodische, vornehme Art, ihr den Hof zu machen. Dass er damit ernsthafte Absichten verfolgte, auf diese Idee kam sie nicht.
So differenziert Elia in die letzten Seelenwindungen ihrer Heldinnen zu schlüpfen vermochte, ihre Menschenkenntnis im wirklichen Leben war immer noch reichlich arglos. Und von Männern verstand sie gar nicht viel, obwohl sie schon seit Jahren mit Carlos zusammen war. Vielleicht wäre sie bei einem jungen Mann stutzig geworden, aber bei einem soignierten Gentleman, der doppelt so alt war wie sie, reagierten ihre feinen Antennen nicht. Nein, im Gegenteil, Elia fühlte sich bei Jens Arne sicher aufgehoben, und auch er schien in ihr eine verwandte Seele gefunden zu haben, immer wieder entdeckten sie neue Gemeinsamkeiten. Er führte sie durch seinen tadellos geordneten Besitz und seufzte: »Sie sind jung, Sie schöpfen noch aus dem Vollen, aber ich brauche diese Rückzugsstätte, um in der ländlichen Ruhe wieder neue Kräfte zu sammeln«, worauf Elia ausrief: »Ach, wie ich das verstehen kann! Es geht mir genauso, und mit dem Alter hat das gar nichts zu tun!«
Auch über Schweden sprachen sie oft. Dass Jens Arne Schwede war, fand Elia besonders sympathisch, an seinen Schnurren über Mariana, Erna und Astrid konnte sie sich nicht satthören, richtige Teufelsbraten mussten das gewesen sein, kess, strahlend, hochbegabt. Mariana war die Schönste, Klügste, Beste von ihnen. Wenn Jens Arne von den gemeinsamen Göteborger Zeiten sprach, geriet er ins Schwärmen, so dass Elia immer mehr Marianas
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