Im Schatten der Tosca
frisch gewaschen. Aus einer im oberen Teil geöffneten Stalltür streckte ein Pferd seinen Kopf. Als es Jens Arne sah, blähte es die Nüstern und wieherte erwartungsvoll.
»Das ist Adonis, er verlangt seinen Zucker«, sagte Jens Arne mit einem Lächeln, er kannte die Wirkung seines edlen Rappen.
Elia schmolz auf der Stelle hin. Erst tätschelte sie ein wenig ängstlich die Wange, schließlich hielt auch sie ihm auf der flachen Hand ein Stückchen Zucker hin und war ganz ergriffen, als Adonis es ihr mit seinen samtenen Lippen abnahm. Sie war glücklich wie ein Kind: »Ich habe mich noch nie getraut, ein Pferd zu füttern, ich dachte immer, die schnappen mit ihren langen Zähnen gleich zu.«
Jens Arne strich Adonis eine Strähne seiner kessen Mähne aus der Stirn: »Hast du das gehört? Diese wunderschöne Dame braust mit hundert PS durch die Gegend, und vor einem einzigen lebendigen Pferd hat sie Angst.«
Elia lachte: »Aber mit Adonis haben Sie mich bisher auch nicht bekanntgemacht.«
Jetzt quetschte ein zweites Pferd seinen Kopf durch die Türöffnung. Elia klopfte mutig seinen Hals unter der dichten braunen Mähne und seufzte: »Ach, ist das schön hier, eine richtige Landidylle, so still und friedlich, ja, so lässt es sich leben, Maestro.«
»Das hier ist Genoveva«, erklärte Jens Arne. »Wenn Sie wiederkommen im nächsten Jahr, reiten wir zusammen überdie Hügel und Felder, ganz altmodisch und romantisch, die Lady und ihr Lord, ein Diener reitet uns voraus, und wenn wir müde sind, wartet an einem Bach ein Picknick auf uns, Champagner, Kaviar, silberne Becher, weißes Linnen, seidene Kissen.«
Elia winkte ab: »Und ich breche mir den Hals, nein, nein, lieber nicht.«
Jens Arne hatte bisher gleichermaßen zu Elia und zu den Pferden gesprochen. Jetzt blickte er Elia an: »Liebe Elia, wenn Sie nicht so unverbrüchlich gebunden wären, hätte ich etwas anderes vorgeschlagen, dann hätte ich gesagt: Hier, nehmen Sie alles, was Sie da sehen. Dieses Haus, dieser Garten, Adonis und Genoveva, es gehört Ihnen, und mein Herz sowieso, das nehmen Sie bitte noch dazu. Aber weil ich alt bin und mit dem schönsten aller Tenöre nicht in den Ring steigen kann, will ich es halten wie Adonis und Ihre Hand küssen.« Er ergriff Elias Hand, aber auf halbem Weg drehte er sie um, mit dem Handrücken nach unten, und hauchte einen Kuss auf ihre Handinnenfläche. Elia starrte ihn verblüfft an. Doch ehe sie etwas sagen konnte, hatte Jens Arne auch schon den Ton gewechselt: »So, und jetzt darf ich Sie zu unserem Essen bitten, lassen wir uns überraschen, vielleicht gibt es ein Gläschen Champagner, und wir müssen dafür kein Pferd besteigen. Gnädigste, Ihren Arm.«
Der Abend verlief, als habe Jens Arnes Geständnis nicht stattgefunden. Der Dirigent und die Sängerin, man freute sich über den Erfolg des ›Figaro‹, sprach über gemeinsame Projekte, das schöne Glyndebourne, die liebenswerte Sitte der Engländer, sich während der Pausen in vollem Opernstaat auf Decken und Klappstühlen niederzulassen, zum Rasenpicknick mit Hummer und Champagner, mochte der Wind auch fauchen und der Nebel wabern. »Selbst wenn es anfängt zu tröpfeln, wird ungerührt weitergespeist, und so richtig schütten tut es wundersamerweise bei den Festspielen so gut wie nie«, erzählte Jens Arne.
Er blieb korrekt und höflich wie immer, und Elia war froh darüber. Aber zum ersten Mal schaute sie ihn sich etwas genauer an. Eigentlich sieht er gut aus, mit seinem schmalen Asketenkopf und den kurzgeschnittenen grauen Haaren. Hübsche Hände hat er auch, und seine raffiniert schlichte Jacke steht ihm schon toll, dachte sie. Wie alt mochte er wohl sein? Bei Gelegenheit wollte sie Mariana fragen, aber dann fand sie, das sei doch keine so gute Idee.
Beim Abschied begleitete Jens Arne Elia zum Rolls-Royce, der sie zu ihrem Cottage bringen würde, er küsste sie kurz auf beide Wangen, kollegial-väterlich, dann meinte er, etwas persönlicher: »Passen Sie gut auf sich auf, wir beide haben noch viel miteinander vor«, und dann: »Grüßen Sie Carlos Ribeira von mir.«
Noch in derselben Nacht, als Elia schon lange schlief, kam es im nachtaktiven Madrid zu einem Zwischenfall, der sich auch auf ihr Leben auswirken sollte.
Der Herr Minister, Gatte der dunklen Dame, war zu einem panamerikanischen Gipfel nach Mittelamerika geflogen, also ans andere Ende der Welt, von dort jedoch früher als erwartet zurückgekehrt. Was für Zustände dort, Chaos, Querelen,
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