Im Schatten der Tosca
Intrigen, Bombendrohungen oder gar eine kleine Revolution, stets machte irgendetwas jede vernünftige Zusammenarbeit unmöglich. Immer noch schlechtester Laune und übernächtigt dazu, sehnte er sich bei seiner Ankunft nur nach seinem Zuhause und seinem Bett. Dort jedoch fehlte die Gattin, und die Geisterstunde hatte schon geraume Zeit geschlagen!
Durch den mangelnden Schlaf von Klarsicht heimgesucht, reimte sich der Minister zusammen, was er bisher nicht hatte wissen wollen, und so stürmte er mit dem nächsten Taxi vor Carlos’ Haus. Dort schloss gerade ein Herr die Haustür auf und ließ den Empörten mit einem »Schönen guten Abend, Exzellenz« ins Haus hinein.
Carlos wohnte im ersten Stock, der andere Hausbewohner,Chefredakteur der großen Zeitung ›ABC‹, im zweiten, wo er sich an seiner Tür zu schaffen machte und sie laut wieder zuklappte, so, als würde er in seiner Wohnung verschwinden. In Wirklichkeit dachte er nicht daran, sondern blieb erwartungsvoll im Treppenhaus stehen und lauschte mit langen Ohren nach unten: erst langes Geklingel, dann wildes Getrommel, schließlich Gemurmel, rasch gefolgt von dem Ruf: »Wo ist meine Frau?!« Daraufhin kurze Stille, dann Gekreische, Getobe, Gerumpel und wieder Stille. Schließlich Stimmengewirr auf der Treppe, konfuses Treppauf, Treppab, Türenschlagen und Totenstille.
Am nächsten Tag erschien in der Presse nur eine Meldung zur Umbesetzung der Rolle des Duca im ›Rigoletto‹, wegen Erkrankung von Carlos Ribeira. Tags darauf, und ganz unabhängig davon, wurde von einer Unpässlichkeit von Minister García berichtet, bis man in der ›ABC‹ schließlich über einen geheimnisvollen Zusammenhang ihrer beider Krankheiten zu lesen bekam. Von einer nächtlichen, ziemlich lautstarken Aussprache zwischen »Staatsmann und Startenor« war die Rede, so etwas wie einem »Duell«. Im Übrigen war das Ganze sehr vorsichtig gehalten, mit einem Regierungsmitglied wollte sich keine Zeitung anlegen. Aber um die Gerüchteküche zum Brodeln zu bringen, dafür reichte es. Immerhin schmückten zwei Fotos die Seite: Carlos, einen Schlapphut tief ins verpflasterte Gesicht gezogen, beim hastigen Verlassen seines Hauses, und daneben die Ansicht eines berühmten Sanatoriums, in dem der Minister zurzeit weilte.
Ausgerechnet diese Ausgabe wurde Elia bei ihrem Rückflug aus England zusammen mit einigen Modejournalen als Bordlektüre gereicht. Beim Anblick des verbeulten Geliebten war es Elia, als erhielte sie selbst einen Schlag in die Magengrube. Sie prallte erschrocken zurück, zugleich wallte grimmige Wut in ihr hoch, aber auch Sorge um Carlos.
Noch im Mantel stürzte Elia zu Hause zum Telefon und erfuhr nun die traurige Wahrheit, zumindest den Teil, den Carloszu erzählen wagte: In der Tat waren die beiden Kontrahenten ziemlich lädiert. Carlos hatte diesmal nicht nur durch eine zarte Hand einen Kratzer am Hals davongetragen, sondern, verabreicht durch eine zorngestählte Männerfaust, ein saftiges Veilchen, eine geplatzte Augenbraue und Schädelbrummen, und der Minister ein paar gebrochene Finger, eine Gehirnerschütterung, blaue Flecken sowie einen ausgeschlagenen Zahn.
Carlos versuchte nicht einmal, etwas zu seiner Entschuldigung vorzubringen. Er war ehrlich zerknirscht, mit zittriger Stimme flüsterte er: »Oh Gott, Capretta, ich liebe dich doch.« Der Rest ging in Schniefen unter. Alles war nur Schluchzen und Stammeln, und Elia verschlug es gänzlich die Sprache, wodurch dieses trostlose Telefongespräch vollends zum Erliegen kam.
Ermattet sank sie auf einen Stuhl. Diese Hilflosigkeit, sie hatte das Gefühl zu platzen! Wenn Carlos und sie jetzt wenigstens beieinander wären, Aug in Auge! Aber so, machtlos, in weiter Ferne, was konnte sie da schon tun? Heulen, das Telefon an die Wand schmeißen, speien vor Ekel, waidwund unter die Bettdecke kriechen und nie, nie mehr aufstehen? Elias Füße zuckten, wütend stampfte sie auf den Boden
Mitten in Elias düstere Betrachtungen hinein schrillte das Telefon. In der Annahme, es sei noch einmal Carlos, fauchte sie in den Hörer: »Was willst du denn noch, du Schuft?«
Es war Mariana, so sehr in eigene Sorgen verstrickt, dass sie die ungewöhnliche Begrüßung scheinbar nicht wahrnahm: »Gott sei Dank, da bist du ja, ich hab dich in Glyndebourne nicht mehr erreicht. Massimo und Martina haben den Hochzeitstermin radikal vorgezogen, wir finden das alle sehr gut. Es soll ein schönes Fest werden, eine richtig froh gestimmte Hochzeit,
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