Im Schatten der Tosca
jetzt schlafen, du kennst mich ja.« – »Ach, immer noch nicht so richtig. Aber ich hab wohl alles kaputtgemacht«, jammerte Carlos nun doch.
Elia schloss die Haustüre auf: »Komm, komm, jetzt nicht noch damit anfangen, das hat dieser Abend nicht verdient.« Nun gut, sie konnte nicht länger böse sein auf Carlos. Aber verzeihen, so richtig, aus ehrlichem Herzen, das konnte sie auch nicht. Und plötzlich sank ihre Munterkeit wieder in sich zusammen, sie fühlte sich hundeelend, als sie in den dunkeln Hausflur trat. Ja, ja, wenn alles so einfach wäre!
Auf der Bühne vermochte es Elia, sich den Gefühlen der von ihr verkörperten Heldinnen mutig zu öffnen und sie zu vermitteln. Die Musik half ihr dabei und das Singen. Doch im echten Leben tat sich Elia immer noch schwer, ihre Gefühle zu zeigen, vielleicht noch schwerer als früher, die effektvollen Ausbrüche und Zusammenbrüche auf dem Theater hatten bei ihr einen Widerwillen gegen »Szenen« erzeugt und den Reflex noch verstärkt, die eigene Empfindlichkeit zu schützen. Und trotzdem: Ihre Zurückhaltung gegenüber Carlos hatte nichts mit dieser Scheu zu tun, auch nichts mit Feigheit oder mangelndem Temperament. Aber Carlos war nicht nur ihr Partner im Leben, er war auch ihr Partner auf der Bühne. Es hatte eine glückliche Zeit gegeben, da hatte Elia zwei Traumpartner gehabt: Ferdinand und Carlos. Ferdinand hatte ihr der Tod schon entrissen, allein der Gedanke, nun auch noch Carlos zu verlieren, war absolut unerträglich, der Bruch mit ihm schien wie eine Verstümmelung, wie ein weiterer Tod! Das war es, was ihre Wut bremste und sie zwang, aus den Trümmern der Liebe von Mann und Frau die heilgebliebene Partnerschaft zweier Sänger zu retten. Carlos erging es nicht anders, auch er brauchte bei seinem hektischen Leben die Vertrautheit mit Elia.
Wenn sie zusammen auf der Bühne standen, als das klassische Opernliebespaar Sopran und Tenor, passte bei ihnen alleszusammen, ergänzte sich, ihre Stimmen, ihr Alter, das Aussehen, ihre Darstellungskraft, viel mehr brauchte es nicht, um ein gedeihliches Arbeitsklima und den Erfolg eines Stückes zu sichern. Gerade weil sie nur in Abständen und darüber hinaus mit verschiedenen Dirigenten und Regisseuren zusammenarbeiteten, erstarrte die Harmonie nie zur Routine.
Diesen raren, köstlichen Einklang durften sie niemals verletzen, aus ihm schöpften sie ihre Kraft, selbst wenn sie im Leben als Paar gescheitert waren. Das ahnten sie beide, und so bemühten sie sich, den persönlichen Wirrwarr mit »Anstand« zu durchschiffen. Letzten Endes verdankten sie es den Freunden, dass ihnen das so einigermaßen gelang, bei ihnen konnten sie den angestauten Ärger loswerden und sich den Kummer vom Herzen reden. Mariana, Ture, Birgit, Julia, Erna, Björn Eksell, sie waren vom Fach und vermochten die Misslichkeit der Lage zu ermessen. Sie hielten geduldig stand, verkniffen sich sinnlose Kommentare und Ratschläge, auch Mariana, die Elia von jeher vor einer Verquickung von Privatem und Beruflichem gewarnt hatte. Und auch Julia, obwohl sie Elias sture Haltung nicht richtig fand, nachdem sie selbst erfahren hatte, wie sehr eine Trennung schmerzte, denn ihre eigene Liebesgeschichte mit Umberto war inzwischen an den äußeren Widrigkeiten gescheitert. Nein, abwenden ließ sich solch eine Entwicklung wohl nicht, aber liebevolle, vorurteilsfreie Geduld und Anteilnahme konnten doch helfen und guttun. Genau das bekamen Elia und Carlos im freundlichen Stockholm geschenkt.
In London, ihrer nächsten Station, erwartete Elia eine aufregende Rolle, die Anna Bolena. Vor einigen Jahren, mit der ›Lucia‹, hatte Elia schon einmal eine gefühlvolle Kür aufs schimmernde Belcanto-Eis hingelegt, gespickt mit kühnen Pirouetten, herzergreifenden, hauchzarten Schnörkeln. Aber so richtig warm war sie dabei nicht geworden. Später, vielleicht später einmal, so hatte sie es damals empfunden, es gab nochso vieles andere zu entdecken, bis hin zu den fernen Wagner-Welten, in die sich italienische Sänger sonst selten verirrten.
Und jetzt war es ausgerechnet ein Schwede, der Elia in ihre heimatlichen Belcantogefilde zurückzulocken verstand – und das in London! Elia folgte ihm willig und beglückt ob der vielseitigen, faszinierenden Landschaften, die sie an seiner Hand durchwandern durfte.
Von der ›Anna Bolena‹ hatte Elia bis dahin nicht viel mehr gewusst, als dass sie eine Bombenmezzorolle enthielt. »Wahrscheinlich wird das Stück deshalb
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