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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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markierte er nur, stimmlich und auch darstellerisch. Sven Aarquist und Thomas Schneider hatten die Szene sehr hitzig angelegt, zum Schluss riss Riccardo die Geliebte in seine Arme, und beide versanken in einem glühenden Kuss. Doch an dieser Stelle winkte Carlos ab: »Ja, ja, das machen wir dann schon.« Da das ganze Haus von der großen Liebeskrise wusste, ließ man diese Schonhaltung durchgehen.
    Elia kam das sehr gelegen. Sie hatte sich felsenfest vorgenommen, mit Carlos als Liebhaber endgültig Schluss zu machen, sonst würde sie niemals von ihm loskommen. Bei den Vorstellungen war es allerdings mit Carlos’ Rücksichtnahme vorbei. Wahrlich nicht aus Berechnung, um Elia vielleichtdoch zurückzuerobern, sondern er konnte gar nicht anders, als den Wohllaut der Töne strömen zu lassen. Und Elia, gerade noch niedergeknüppelt vom Stimmgeprotze des Mailänder Kollegen, war nun umso empfänglicher für den verführerischen Schmelz seiner Stimme. Kein Wunder, dass die Amelia ihre hehren Vorsätze über Bord warf und Riccardo ihre Liebe gestand.
    Elia hielt sich zwar tapferer und ließ sich nicht bezaubern und überrollen. Aber ihre Unsicherheit war noch größer geworden. Auf der Premierenfeier klagte sie Julia ihr Leid: »Ich weiß nicht, ob ich das durchhalte. Ein Glück, dass Carlos und ich getrennt wohnen. Wenn wir jetzt Tür an Tür im Hotel wären, ich glaube, ich würde wieder schwach!«
    Julia hatte kein Erbarmen mit ihr: »Ja und, wäre das so schlimm?«
    »Ach, ich weiß gar nichts mehr«, stöhnte Elia. »Ich war einfach zu naiv, jetzt mach ich mir nichts mehr vor.«
    »Ich fahre morgen weg. Für zwei Wochen. Hier hast du den Schlüssel zu meiner Wohnung«, sagte Julia trocken.
    »Ja, zumindest miteinander reden müssen wir wohl«, gab Elia zu.
    Es wurde ein langes Gespräch. Elia und Carlos trafen sich in ihrem Lieblingsrestaurant »Ulla Winbladh«, wo sie oft nach einem Spaziergang oder Bootsausflug gegessen hatten. Beide waren zunächst verkrampft, aber nach zwei Gläschen Aquavit wich die Befangenheit etwas.
    »Dass wir das mal nötig haben, mit diesem Gesöff«, seufzte Carlos, während er ein weiteres Glas hinunterkippte.
    Elias Herz klopfte immer noch aufgeregt, doch nicht mehr aus Angst und Unbehagen, sondern weil sie jetzt neugierig war, frohgestimmt. Eine Verschiebung hatte sich sachte vollzogen, es dauerte eine Weile, bis Elia es bemerkte: Sie fühlte sich wohl bei diesem Tête-à-tête! Die Macht der Gewohnheit, der Sog des Vertrauten? Oder einfach die alte Liebe, die wohl noch nichts davon gehört hatte, dass alles aus war? Wie ofthatten Carlos und Elia vergnügt an diesem Tisch gesessen, und wie stimmig nahm es sich auch diesmal wieder aus!
    Sie redeten und redeten, sprachen über Kollegen, Inszenierungen, Dirigenten, Flugverbindungen, Hotelunterkünfte, Martina, den Tod. Nur über sich selbst sprachen sie nicht. Inzwischen waren sie beim Dessert angekommen. Wie immer winkte Elia bei den Süßspeisen ab, um dann mit einem zweiten Löffel, den der Kellner stets vorsichtshalber mitbrachte, Carlos von seinem Nachtisch wegzunaschen.
    Doch plötzlich, noch während sie sich die Lippen leckte, streckte Elia den Arm hoch und berührte mit der Fingerspitze die winzige Narbe über Carlos’ linker Augenbraue. Gleich beim Wiedersehen hatte sie die entdeckt, aber stets geflissentlich ignoriert.
    »Der Siegelring«, erklärte Carlos mit einem schiefen Grinsen.
    Elia verzog das Gesicht: »Dumm gelaufen. Darum sollte man beim Boxen Handschuhe tragen.«
    Elia starrte auf die Narbe, als gäbe es dort etwas Aufschlussreiches zu entdecken. Schließlich senkte sie den Blick, sie fasste nach ihrer Handtasche und wühlte eine Weile darin herum, dann hatte sie das Gesuchte gefunden, Puderdose und Lippenstift. Sie zog sich die Lippen nach, konzentriert, in ihr Spiegelbild versunken, doch dann blickte sie auf und schaute Carlos in die Augen. Beide seufzten sie auf, im gleichen Moment.
    »Es geht nicht«, sagte Elia leise, mehr zu sich selbst.
    Carlos legte seine Hand vorsichtig auf ihre Hand: »Was geht nicht, Elia?«
    Sie zuckte ganz leicht mit den Schultern, atmete tief aus und steckte die Schminksachen zurück in die Tasche, da, wo sie hingehörten, direkt neben Julias Wohnungsschlüssel.
    Der Kellner brachte die Rechnung, zusammen mit zwei Gläsern Aquavit: Oh ja, das konnten sie gebrauchen. Alles war fast so wie immer, nur der verdammte Heimweg nicht.
    Elia machte sich rasch los von Carlos’ Arm: »Ich muss

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