Im Schatten der Tosca
Buschtrommeln, alles schnell herum.
Wenn er jetzt behutsam vorging, konnte eigentlich nichts schiefgehen, so arglos und vertrauensvoll, wie ihm Elia erschien. Zumindest auf musikalischem Gebiet vertraute sie ihm vollkommen. Aller Voraussicht nach würde er noch einen mächtigen Beistand bekommen, nämlich Purcell. Diese Musik wirkte auf sensible Gemüter wie eine gefühlserweiternde Droge. Elia hatte die Dido gründlich studiert, nicht nur ihre Partie, auch das ganze Werk, aber auf der Bühne hatte sie es noch nie erlebt. Jetzt geriet sie sogleich in den Sog des englischen Hexenmeisters. Durch die ungewohnten Erlebnisse bei der kleinen Seereise stand ihr Herz sowieso sperrangelweit offen, und da hinein strömten nun die herrlichsten Sirenenklänge: eine verwirrende Mischung aus tiefem Schmerz, Wehmut, Spottlust, Zärtlichkeit.
Während des Studiums ihrer Partie hatte ihr die hoffnungslose Trauer beim Abschied der Dido immer die Kehle abgeschnürt. Es hatte Tage gedauert, bis es ihr endlich gelang, den Schluss zu erreichen, ohne dabei weinen zu müssen. Jetzt ließ sie sich von den Chören und Balletteinlagen bezaubern. Wie unglaublich frisch das klang, fabelhaft rhythmisch, süffig, erwartungsvoll hüpfend, herzlos flott und dann wieder innig mitfühlend. Sie selbst hatte nur einige wenige Auftritte, aber sie ging gerne zu den Proben und lauschte den berückenden Klängen.
Sie und Jens Arne sahen sich jeden Tag. Bei den Proben,oder wenn sie in einer Pferdekutsche übers Land rollten. Gleich am ersten Tag hatte Jens Arne ihr eine Überraschung versprochen. Zunächst hatte er sie, wie im Jahr zuvor, vom Chauffeur zu seinem Landgut bringen lassen und sie dort im Hof empfangen, wo bereits Adonis und Genoveva warteten, angeschirrt und vor eine elegante, kleine Kutsche aus glänzendem Mahagoniholz gespannt. »Darf ich Ihnen auf den Kutschbock helfen? Ich werde selbst kutschieren, das ist bei diesen Sportkabriolets so der Brauch. Hinten ist der Sitz für den Groom, aber den brauchen wir heute nicht«, so hatte er ihr erklärt.
Elia war entzückt, das Klappern der Hufe, das Auf und Ab der Pferdehinterbacken gefielen ihr über die Maßen. Ungewohnt, und doch irgendwie vertraut. Sie fühlte sich in vergangene Zeiten zurückversetzt: So waren die Menschen dahingerollt, jahrtausendelang. Jens Arne gab ihr recht: »Ja, wenn Sie bedenken, wie viel allein die Musiker herumgereist sind, quer durch Europa und noch weiter, Mozart, die Italiener, Händel, alle, alle, auch die ausübenden Künstler, dann kann man es kaum begreifen, was sie alles produziert haben neben den Reisestrapazen, zumal ihre Kutschen sicher nicht so gut gefedert waren wie mein Phaeton.«
So nebeneinander auf dem Kutschbock zu sitzen, war angenehm, nah, auf ganz selbstverständliche und doch unverbindliche Weise, man kam ins Plaudern, konnte schweigen, die Landschaft betrachten, seinen Gedanken nachhängen. Bei übersichtlichen Strecken überließ er ihr die Zügel, und wieder war es Elia, als mache sie einen Zeitsprung. Sie kam sich vor wie ein römischer Wagenlenker, die lebendige Kraft der Pferde übertrug sich ganz unmittelbar auf ihre Hände.
Manchmal fuhr auch Jens Arnes Diener mit, als »Groom«, neben sich Picknickkorb, Kissen, Decken, denn wenn Elia schon in Glyndebourne sang, dann sollte sie auch das echte englische Picknick erleben, befand Jens Arne. Alles ganz stilecht, Hühnchen, grasgrüner oder ziegelroter Käse, schneeweißes,weiches Brot ohne jeden Geschmack, auch Hummer und Champagner aus silbernen Bechern, und alles vom Groom auf einem damastenen Tischtuch köstlich drapiert. Ja, so ließ es sich auch leben.
Dann näherten sich die Proben ihrem Ende, Didos Klage und der Schlusschor standen noch an, zusammen mit dem Orchester. Vor Aufregung konnte Elia die halbe Nacht nicht schlafen, am liebsten hätte sie ein Beruhigungsmittel genommen. Aber wie immer hatte sie keines dabei, aus Prinzip, wer als Künstler mit so etwas anfing, der schien ihr so gut wie verloren, von Kollegen kannte sie die Folgen, verzögerte Reaktionen, Gleichgültigkeit, Glanzlosigkeit. Aber zunächst ging alles sehr gut, doch dann, beim zweiten
»Remember me«
, fing die Stimme an zu schwanken. Zwar gelang es Elia, die Tränen zurückzuhalten, solange sie sang. Aber nach dem letzten Ton war es um ihre Fassung gänzlich geschehen.
Jens Arne dirigierte seelenruhig zu Ende, dann schaute er zu Elia hinüber, nicht sorgenvoll oder mitleidig, eher neugierig, als betrachte er
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