Im Schatten der Tosca
schwätzten und flüsterten und pickten Pralinés und winzige Törtchen von einem Silbertablett. »Siehst du, zuerst habe ich mich vor Massimo verkriechen wollen, aber dann war es aus mit meinem Zieren. Wenn man schon weiß, dass man bald sterben muss, dann sollte man wenigstens keine Zeit mehr verlieren und ganz schnell das tun, was einem das Wichtigste ist«, sagte Martina ruhig. »Und Massimo hat mich dann vollends überzeugt und mir erklärt, dass Heiraten nichts anderes ist, als zusammenbleiben wollen, bis dass der Tod einen scheidet. Genau das ist der Unterschied zu einer Liebschaft. Ja, und jetzt gehören wir zusammen, in Freud und Leid. Ich weiß sogar schon, wo ich begraben sein werde, Massimo hat mir das Familiengrab gezeigt, da gehöre ich hinein als seine Ehefrau. Klingt komisch, was, aber es ist gar nicht so schlimm, eigentlich sogar schön. Glaub mir, ich war noch nie so glücklich wie jetzt, ich erlebe die ganze Liebe auf einmal, die sonst für ein langes Leben hätte ausreichen müssen und die dabei oft verschüttgeht.«
An diesem Abend schaute Elia noch einmal bei Umberto vorbei, und sie beschlossen, nicht länger alle Pläne weiter hinauszuschieben. Um Liebe handelte es sich bei ihnen nicht, sie wollten nur schon längst einmal ein paar Tage an der Küste entlangsegeln, zusammen mit Bruno, Umbertos großem Bruder, der in Ischia lebte und ein großes, altes Segelboot besaß.
Zunächst aber fuhr Elia nach Hause zu ihrer Mutter und Großmutter, Tante Ambrosia, Fiamma und den Katzen, in ihr schmuckes Häuschen, den ehemaligen Ziegenstall, das von Padre Ironimo kurzerhand »Villa Capretta« getauft worden war, richtig mit Weihwasser und allen guten Segenssprüchen. Auch hier wurde überall für Elia gekocht und gebacken. Als sie dabei zusah, wie Padre Ironimo, der gerade zu Besuch gekommen war, neben ihrer Mutter in der Küche stand, wie vor Jahren in Rom, und die beiden eifrig zusammen werkelten, da wurde ihr recht wehmütig ums Herz.
Dann tauchten Umberto und sein Bruder in Salerno auf, mit einer Jacht aus edlen Hölzern, und holten Elia zu der kleinen Seereise ab. Während Bruno beim Segeln nach dem Rechten sah, kochte Umberto in der engen Kombüse das Abendessen. Wenn sie dann in einer Bucht vor Anker gingen und alles an Bord versorgt war und sie noch kurz im glasklaren Wasser splitternackt gebadet hatten, dann wurde oben an Deck der Tisch hergerichtet, schön, mit Tischdecke und schweren Tellern und Gläsern. Und während sich die Sonne daranmachte, im Meer unterzutauchen, kletterte Umberto mit der dampfenden Schüssel Spaghetti die Kabinenleiter hoch, wozu Bruno die erste Flasche Wein öffnete.
Vielleicht übertraf dieses Mahl all die anderen kulinarischen Höhepunkte, die Elia in der letzten Zeit erlebt hatte. Einen prachtvolleren Speisesaal jedenfalls gab es nicht als das sich sachte auf der Dünung wiegende Boot. Der Törn ging über Paestum die Küste Kalabriens entlang bis hinunter zum Golf von Messina und hinüber nach Stromboli, Vulcano und den Liparischen Inseln. Als die Freunde Elia in Salerno wieder an Land ließen, sah sie aus wie eine Indianersquaw und strotzte vor Gesundheit und zufriedener Gelassenheit.
So erschien Elia in Glyndebourne. Bei ihrem Anblick konnte Jens Arne Holsteen gerade noch die Lippen zusammenpressen, sonst wäre ihm ein bewundernder Pfiff entwichen: Das also steckte auch noch in dieser Frau! Diese kraftvolle, ungebrochene Wilde!
In London, nach der gelungenen ›Anna Bolena‹, hatte Jens Arne bereits Überlegungen angestellt, ob es nicht klüger wäre, von Elia als Frau die Finger zu lassen, nachdem sie als Sängerin so ideal in sein musikalisches Konzept passte und er mit ihrer Hilfe endlich eine Reihe von Projekten, darunter die ›Norma‹ und die ›Medea‹, in der von ihm angestrebten Perfektion würde realisieren können. Elia besaß alles, was er dafür brauchte, Schönheit, Ausstrahlung und ein Timbre, dasman im Englischen »highly individual« nannte. Aber Liebeleien bargen immer Zündstoff. Und meistens war er es, der mehr oder weniger rasch die Lust daran verlor. Doch nun stand Elia vor ihm, schön und begehrenswert, das blühende Leben. Da zerstoben mit einem Schlag Jens Arnes Bedenken und er verwandelte sich zurück in den leidenschaftlichen, erfahrenen Jäger, der niemals aufgab, bevor er sein Ziel erreicht hatte. Zumal auch zu ihm die Kunde von Elias Bruch mit Carlos gedrungen war. In der gar nicht so großen Opernwelt sprach sich, wie über
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