Im Schatten der Tosca
Teufel warum, aber ich hänge an Ihnen. Und mit meinen achtzig Jahren wollte ich doch einmal London kennenlernen.«
Elia trug ein elegantes, schneeweißes Schneiderkostüm, weiße Strümpfe, weiße Schuhe und einen wagenradgroßen weißen Hut, Jens Arne einen Cut. Zum Essen im »Claridge’s« erschien noch eine Reihe von Honoratioren, auch Opernleute, Musiker, berühmte Namen die Menge, ein sehr respektables, sogar vergnügliches Fest also, da fiel es kaum auf, dass von Jens Arnes Verwandtschaft niemand anwesend war.
Dafür brachte sein Diener am Nachmittag ein eingeschriebenes Eilpäckchen für Elia. Es enthielt Marianas prachtvolle Smaragdohrringe, zusammen mit einem Briefchen: »Meiner innigst geliebten Elia zu ihrem großen Tag! Mit den allerherzlichsten Glück- und Segenswünschen von ihrer alten, getreuen Mariana.« An Jens Arne lag noch ein Kärtchen bei, mit ein paar Worten auf Schwedisch. Elia war tief gerührt: »Mein Gott, was für ein Geschenk, herrlich, ich hab sie immer an Mariana bestaunt und bewundert.« Jens Arne betrachtete argwöhnisch die Ohrringe, die Smaragde leuchteten betörendschön. Das Kärtchen überflog er nur kurz und legte es gleich wieder weg.
Julia las neugierig die an ihn gerichteten Zeilen: »Glückwunsch auch Ihnen, Verehrtester, und zur Erinnerung ein Zitat von Ihnen aus unserer Unterhaltung nach der ›Anna Bolena‹: ›Wenn ich diesem Edelstein jemals Schaden zufügen sollte, dann strafe mich Gott.‹ Einstweilen, lieber Jens Arne Holsteen, möge er Sie behüten und beschirmen. Herzlich, Mariana Pilovskaja-Bernini.«
Zu schicklicher Stunde verabschiedeten sich Jens Arne und Elia von ihren Gästen und ließen sich vom Chauffeur zum Landgut fahren. Dort war es sehr viel stimmungsvoller als in der pompösen Londoner Wohnung, Jens Arne hatte es wohl bedacht. Allerdings, das merkte er deutlich, fühlte er sich für die Verführungsszene nicht mehr in Hochform. Es war schon recht spät, er hatte zu viel getrunken, das ganze Hochzeitsgetue, Elias geballte Verwandtschaft in ihren unmöglich bunten Kleidern – nicht einmal die Großmutter wusste sich in dezentes Schwarz zu gewanden – und mit ihren durchdringenden Stimmen. Und ihren kritisch musternden Blicken, all das war ihm etwas auf den Magen geschlagen.
Zunächst allerdings ließ er es sich nicht nehmen, Elia über die Schwelle des Hauses zu tragen, wobei er pathetisch ausrief: »Elia, mein süßes Weib! Endlich allein!«, um dann in normalem Ton fortzufahren: »Ich glaube, weiter sollten wir dem guten Lohengrin und seiner Elsa nicht nacheifern, die hätten sich auch etwas mehr Zeit lassen sollen mit der Hochzeitsnacht, nachdem sie sich gerade einen Tag kannten.« Er fasste Elia um die Taille: »Liebste, was hältst du davon, täte uns ein wenig Ruhe jetzt nicht gut? Wir sollten einfach schlafen gehen.«
»Oh ja, eine wunderbare Idee, bist du auch so kaputt wie ich«, stimmte Elia freudig ein. Sie hatte schon etwas bänglich an die kommende Nacht gedacht. Außer ein paar Küssen, meist in Anwesenheit anderer Leute, vor irgendwelchen Haustüren,auf Flugplätzen, ja, auf dem Standesamt, hatte sich zwischen ihnen noch nicht viel getan. Auch jetzt blieb es beim Küssen. Ein anderer Ehemann hätte sich womöglich einfach auf sie gestürzt, doch Jens Arne bewies Takt. Es stimmte, sie mussten sich erst noch aneinander gewöhnen, selbst das »Du« kam ihnen noch nicht zuverlässig über die Lippen.
Am nächsten Morgen fühlte sich Jens Arne wieder voll einsatzbereit. Er hatte schon viele Frauen verführt, manche davon im Eilverfahren, aber bei Frauen, in die er wirklich verliebt war, legte er Wert auf Form. Nach einem Tag der ungestörten Zweisamkeit, das Personal war gewissermaßen Luft, merkte er, wie Elia auftaute. Sie war über seine Liebkosungen zunächst etwas verwirrt, dann fand sich ihr junger, nach Liebe ausgehungerter Leib damit zurecht, schneller als ihr Herz.
Elia hatte über die Ehe ganz klare Vorstellungen: Man liebte sich, half sich, man gehörte zusammen, in Treue, unverbrüchlich, für alle Zeiten. Das mochte romantisch klingen, aber sie hatte es in der Wirklichkeit durch ihre Eltern und Großeltern vorgelebt bekommen. Als Sängerin stellte sie sehr hohe Ansprüche an sich und hielt sie durch Disziplin und Fleiß aufrecht. So wollte sie es auch als Ehefrau halten. Zunächst war sowieso alles eitel Sonnenschein. Auf die Hochzeitsreise verzichteten sie, denn sie reisten ständig in der Welt herum, da war es ein
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