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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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liebsten gehabt, du weißt schon, Mammas Lieblingsstelle: ›Er weidet seine Herde, dem Hirten gleich, und heget seine Lämmer so sanft im Arm.‹ Das haben sie sogar auf Deutsch gesungen. Wenn Martina dann weitergesungen hat: ›Kommt her zu ihm, die ihr mühselig seid, kommt her zu ihm, mit Traurigkeit Beladene, er spendet süßen Trost‹, das war fast nicht zum Aushalten. Überirdisch schön. Mamma hat uns zwei Stofflämmchen geschenkt, das sind wir, Martina und ich.«
    Jetzt verlor Massimo doch die Fassung, er wühlte in seinen Manteltaschen, schließlich reichte ihm Elia ihr Taschentuch: »Ich hab die beiden gesehen, auf Martinas Nachttisch. Ja, bei diesem Hirten seid ihr gut aufgehoben, ihr zwei.« Sie waren inzwischen vor Elias Haustür angekommen, stumm umarmten sie sich, Elia fühlte durch ihren Mantel hindurch Massimos Herz unruhig schlagen. »Ich pass auf ihn auf«, ach, das sagte sich so, aber was bedeutete es eigentlich? Wie sollte sie Massimo helfen?
    Als Elia nach London zurückkam, war Jens Arne noch auf der Probe, sie sahen sich erst am Abend.
    »Nun, wie war es in Rom?«, fragte er nach dem Begrüßungskuss.
    Elia zögerte kurz, dann sagte sie: »Martina wird bald sterben.«
    Jens Arne schaute sie verwirrt an: »Mein Gott, die Arme. Furchtbar, was gibt es doch für schreckliche Schicksale.« Er schüttelte ein paarmal den Kopf: »Ja, da kann man wohl nichts machen. Sie haben doch sicher die besten Ärzte.« Er hob hilflos die Hände, ließ sie nach einer Weile mit einem Seufzer wieder sinken.
    Elia stocherte in ihrem Essen herum, schließlich fiel es sogar Jens Arne auf: »Hast du gar keinen Hunger?« Sie murmelte etwas von »im Flugzeug gegessen«, das leuchtete ihm ein. »Ja, du bist sicher müde, das war bestimmt alles sehr mühsam, und morgen ist wieder ein anstrengender Tag. Ambesten, du gehst bald ins Bett, du brauchst jetzt erst einmal Schlaf.«
    Vor der Schlafzimmertür klopfte er ihr aufmunternd kurz auf den Rücken: »Darling, du schaffst das. Du bist stark. Der Tod von Freunden macht uns Angst. Aber der Tod gehört zum Leben.«
    Elia nickte, ja, ja, wie recht er hatte: Ach, red nicht, nimm mich lieber in den Arm, um Gottes willen, dachte sie. Vielleicht wollte er das nicht. Oder er konnte es nicht, aus welchen Gründen auch immer. Elia war zu erschöpft, um darüber nachzudenken. Sie schwieg, sie ging auch nicht von sich aus auf ihn zu, auch sie hatte inzwischen ihre Seelenrollläden heruntergelassen. Nur allein sein, das war das Einzige, wonach sie sich jetzt sehnte.
    Zum Glück bot die Rolle der Norma Elia reichlich Gelegenheit, sich Schmerz und Verzweiflung vom Herzen zu singen. Hier war Jens Arne wieder in seinem Element, in diesem Feuer wusste er trefflich zu schmieden. Unter seiner kritischen Obhut gerieten Elias Emotionen zu ergreifender Kunst. Elias Norma besaß die Autorität und Ernsthaftigkeit der großen, stolzen, befehlsgewohnten Priesterin. Zugleich war sie liebenswürdig, empfindsam und zärtlich, eine junge Frau und Mutter, die unsicher und wehmütig um die Liebe des geliebten Mannes bangte. Pollione, sein Verrat, die schnöde Herzlosigkeit des übersättigten Mannes, der plötzlich eine andere liebte, schleuderten Norma aus ihrer Mitte heraus und weckten die Nachtseiten in ihr: wilde Wut, rasende Rachsucht, so dass sie sogar die Kinder umbringen wollte und erst ganz zum Schluss, durch das Eingeständnis der eigenen Schuld, wieder zu sich fand.
    Adalgisas Sanftmut hingegen beschwichtigte Norma, machte sie weich und weckte zärtliche Erinnerungen in ihr an eigenes Liebesglück. Noch in der ärgsten Verzweiflung begriff sie dankbar, eine Freundin in dem jungen Mädchen gewonnen zu haben. Zwischen Norma und Adalgisa erwuchs ein Hochgesang auf die Freundschaft, so zart und feurig, innig-erhabenund unerschrocken wie bei Verdi zwischen Carlos und Posa. In diese Szenen legte Elia ihre Liebe zu Martina, ihre Sorge und Trauer um die Freundin hinein. Und so gerieten die Momente zwischen Norma und Adalgisa, der jungen, reinen Priesterin, zum Herzstück der ganzen Oper.
    Elias Betroffenheit kam Jens Arne durchaus gelegen. Er nutzte dies aus, und wann immer Elia selbst gewisse Grenzen nicht überschreiten mochte, feuerte er sie an: »Schneidender, höhnischer, noch verzweifelter.« Und Elia ließ sich antreiben wie ein Pferd, dem man die Sporen gab. Daneben dann das Hingehauchte, Geflüsterte, Ersterbende, der ganz leise Kummer, der so sehr zu Herzen ging! Ja, Jens Arne hatte sich mit

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