Im Schatten der Tosca
hüpfen und springen dürfen. Erstaunlich lange sogar. Doch seine Gewohnheiten, Ansichten, Tätigkeiten, hatten sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte viel zu fest eingefahren, als dass er fähig gewesen wäre, sich auf Dauer offenen Herzens auf einen anderen Menschen einzulassen. Schon aus Bequemlichkeit, aber auch aus unbewusster Angst: Denn was ihn an Elia faszinierte, erschreckte ihn zugleich, das Ungewohnte bedrohte die bewährte Ordnung. Ausgerechnet das, weshalb er sich in Elia verliebt hatte, ihre Frische und Natürlichkeit, ihre Warmherzigkeit und Intensität, die
italianità
, wie er es nannte, genau das begann ihn zu bedrängen. Sogar ihre Treue und Unbedingtheit, mit der sie auf ihn einging und sich um ein gedeihliches Zusammenleben bemühte, wurde ihm langsam zu viel.
Jens Arne kam nicht auf die Idee, dass vielleicht an seinemeigenen Verhalten etwas nicht stimmte. Da begann er lieber, an Elia herumzukritteln, sie zu erziehen. Als Dirigent hatte er genügend Erfahrung im Bändigen von Menschen, um wohldosiert, notfalls auch listig vorzugehen. Wenn Elia wieder einmal schallend laut lachte, hielt er sich lächelnd eine Hand vors Ohr: »Pscht, pscht, nicht so laut, Liebes, ich bin ja nicht taub, noch nicht, zum Glück.« Und wenn sie sich über eine Gedankenlosigkeit von ihm ärgerte, tat er verständnisvoll: »Ach ja, du musst dich eben hin und wieder aufregen, das bringt deinen Kreislauf in Schwung.« Milde und gönnerhaft ließ er Elia auflaufen und nahm ihr den Wind aus den Segeln. Elia war verwirrt, sie verstand nicht, was sich hier abspielte. Manchmal blieb ihr das Wort im Mund stecken, manchmal polterte sie wütend los und setzte sich nun wirklich ins Unrecht, wie Jens Arne beckmesserisch vermerkte. In seiner ersten Verliebtheit hatte er noch eingelenkt, jetzt dachte er nicht mehr daran. Seine Rechthaberei machte Elia vollends ratlos. Es kam nun vor, dass sie zu weinen anfing und dann, weil er immer weiterredete und nicht nachgab, wie auf der Flucht aus dem Zimmer lief. Ihn schien das nicht zu stören, er setzte sich an den Flügel oder fing an zu lesen, bis Elia zurückkam und etwas Versöhnliches murmelte, sie hätte sonst die ganze Nacht kein Auge zutun können. Elia kannte solche Streitereien überhaupt nicht, in ihrer Familie hatte es das nicht gegeben. Nun gut, sie und Carlos hatten sich manchmal kurz angeschrien, aber gleich wieder versöhnt, mit Worten, Streicheln, Küssen, anders hätten sie es beide nicht ausgehalten.
Jens Arne hingegen kam so ein Streit ganz gelegen, manchmal hätte man meinen können, er provoziere ihn. Sonderbarerweise fanden die Auseinandersetzungen gerade an den Abenden statt, an denen sie beide einmal Zeit für sich gehabt hätten, und obwohl man sich zum Schluss manierlich eine gute Nacht wünschte, auf Elias Nachgeben konnte man sich eben verlassen, war die Stimmung doch so heruntergeschraubt, dass jeder nur noch in sein Zimmer verschwand.
Elia lag dann in ihrem Bett und war froh, dass Jens Arne nicht mehr auftauchte, sie hätte jetzt nicht mit ihm schlafen können. Jens Arne wiederum fühlte sich erleichtert, eine drohende Panne umschifft zu haben. So war das immer schon bei ihm gewesen: Nicht die Gewohnheit, nur das Neue, das frisch Eroberte, machte ihn sinnlich. Jetzt näherte er sich den siebzig, da galt das noch sehr viel mehr. So langsam hatte er das Gefühl, er könne ganz gut ohne Frauen auskommen. Eigentlich bereitete ihm das kein Kopfzerbrechen, denn was seinen Beruf anging, steckte er noch voller Tatendrang, seine erotische Uninteressiertheit war nur nicht ganz unproblematisch mit einer jungen Ehefrau an der Seite.
Ein Jammer, dass er mit Elia über seine Bedenken nie sprach, sonst hätte er erfahren, dass es ihr auf die zu Ende geführte Aktion gar nicht so ankam. Nebeneinander im Bett liegen, miteinander liebevoll reden, zärtlich sein, das war es, wonach sich Elia sehnte. Aber sie hatte inzwischen begriffen, dass das mit Jens Arne nicht ging, schon gar nicht das Kuscheln, seine hübschen Hände verstanden sich offenbar nicht darauf. So einfühlsam und zärtlich sie sich beim Dirigieren dem Geist der Musik hingaben, so spröde und phantasielos begegneten sie einem Körper aus Fleisch und Blut, sogar seinem eigenen. Ein paar routinierte Griffe, das musste genügen.
Hin und wieder ließ Jens Arne jetzt auch Bemerkungen fallen über Elias Art, sich zu kleiden. Die erschien ihm zu eigenwillig und unangemessen, eine wirkliche Dame kleidete sich dezenter,
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