Im Schatten der Tosca
langweilig war, kletterte sie bald wieder an Bord und hatte dann lange zu tun mit Abtrocknen, Umziehen, Eincremen, die Frisur neu ordnen, Wimpern nachtuschen, Lippen nachziehen. Sie, das Naturkind, immerhin konnte sie sich noch über sich selbst wundern.
Jens Arne entzog sich ihr. Er brachte es fertig, jedem Gespräch geschickt aus dem Weg zu gehen. Doch wer weiß, womöglich hatte er recht, so eine Jacht war wahrscheinlich nicht der geeignete Ort, um miteinander wieder ins Reine zu kommen. Die Wände hatten Ohren; ohne es zu wollen, bekam man alles von den anderen mit, zum Beispiel das Geheule und Gekreische in der Kabine der frustrierten Zigarettenerbin und ihres betrunkenen Prinzen. Jens Arne war auch aufgewacht, aber er hatte nur kurz gebrummt: »Zu einer Seefahrt gehören Kräche und Nervenzusammenbrüche. Das Reizklima, der viele Alkohol, so ist das eben.«
In der Tat wurde munter gebechert, schon am helllichten Tag, die Barkeeper hinter der langen Bar mit den endlosen Flaschenbatterien an der verspiegelten Rückwand mixten köstliche Cocktails und Longdrinks. Ein Wink mit der Hand genügte, schon eilte ein schmucker Steward mit dem Gewünschten herbei. Beim Abendessen ging es weiter mit Wein und Champagner. Diese Essen dauerten Stunden, sie waren die reinste Modenschau, und ein Juwelendieb wäre beim Anblick der nussgroßen Edelsteine und Diamanten, die sich um Hälse und Arme rankten, vor Gier in Ohnmacht gefallen.
Nach dem Essen war die Bar stets dicht belagert, zudem wurde ständig Champagner nachgeschenkt. Und alle rauchten wie die Schlote, nicht nur der alte See-Elefant schmauchteseine Zigarren, auch einige der Damen zündeten sich hin und wieder eine Romeo y Giulietta oder Sumatra an. Manchmal war der Salon derart verqualmt, dass es Elia den Atem verschlug und sie an Deck flüchten musste.
Auch getanzt wurde. Da sich Jens Arne so gut es ging drückte, ließ sich Elia von irgendwelchen anderen Herrn herumschwenken. Vor allem Panaiotis hatte es auf sie abgesehen, er drückte sie eng an seine Smokingbrust, durch ihr dünnes Kleid hindurch spürte sie, leicht widerstrebend und doch fasziniert, seine kräftige, behaarte Hand auf ihrem Rücken. Er schaute sie an mit seinen alten Odysseusaugen, er wusste mehr von den Menschen, als er sagte, das fühlte sie. »Göttliche Diva, wenn du deinen durchlauchtigsten Herrn Gemahl einmal satthast, dann lass es mich wissen«, meinte er wohlgelaunt, und Elia antwortete im gleichen scherzhaften Ton: »Ja, und was wird die verehrte Gattin dazu sagen?« Der erste Flirt, seit langer Zeit, einfach so, als vergnügliches Spiel. Elia merkte, wie gut ihr das tat, in Jens Arnes bedeutungsschwangerer Anwesenheit traute sich sonst kein Mann in ihre Nähe.
Es kamen auch Gäste von anderen Jachten zu Besuch an Bord. Darunter einmal ein sonderliches Paar, er drahtig und elegant, sie mit madenbleichem Fleisch unter ihrem geblümten Gewand. Von Weitem sah es aus, als führe ein garstiger Drache ein edles Rassepferd spazieren. Es war Federico mit seiner reichen Dulcinea. Als die beiden Jens Arne und Elia vorgestellt wurden, hatte sie zunächst den Eindruck, als erkenne Federico sie nicht: »Oh, welche Ehre, sehr erfreut«, höflich und förmlich. Aber dann sah sie seinen musternden Blick: »Da schau an, Donnerwetter!« So hatte er sie schon einmal gemustert – und daraufhin beschlossen, sie zu vernaschen, bevor er sich nach England aufmachte, zu seinem Drachen! Unbewusst reckte sich Elia, ja, Elia Corelli, die berühmte Sängerin, das war sie. Wenn er fremd tat, bitte sehr, sie hatte es auch nicht nötig, ihn zu erkennen.
Aber sie wich ihm aus, wollte nicht mit ihm tanzen, das aufkeinen Fall. Sie ging an Deck und schaute ins dunkler werdende Meer. Da war er plötzlich an ihrer Seite: »Elia, ich hab gewusst, dass du da bist, darum bin ich hier. Du siehst umwerfend aus. Bist du mir immer noch böse?« Der alte Charme, nur etwas abgenutzt. Aus der Nähe sah Federico nicht mehr ganz so strahlend aus, um seine Augen bildeten sich die ersten Fältchen, und seine Stirn war um einiges höher als einst. Elia schenkte ihm ein undefinierbares Bühnenlächeln: »Ach, war es so wichtig? Längst vergessene Kindereien.« – »Ich hab dich als Medea gesehen und als Lucia«, fuhr er fort. »Ich bin eigentlich kein Opernfan, aber ich war richtig erschüttert, du bist eine große Künstlerin, so dumm es klingt, ich bin stolz darauf, dich zu kennen. Ich hab mir vorgenommen, öfter in die Oper zu
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