Im Schatten der Tosca
unsere Fahrt nach St. Petersburg denken. Das nächste Mal müsst Ihr mitkommen, unbedingt.«
Hollands flache Küste zog vorüber. Als sich das Schiff der offenen See näherte, veränderte sich die Farbe des Wassers von graugrün in dunkelblau. Vor Boulogne-sur-Mer machte das Schiff Halt, neue Passagiere stiegen zu, ein Pulk von Französinnen und Franzosen, die aussahen, als seien sie einem Modejournal entsprungen.
Die Küste Englands kam zum Greifen nahe, große Schwärme von Möwen umkreisten das Achterdeck. Die Küste Nordspaniens zeigte sich, La Coruña, Vigo mit seinem Märchenkastell, in dessen ungezählten Fenstern die Abendsonne glühte. Leuchttürme blitzten auf in der Nacht. Jeden Morgen und jeden Abend ließ die Sonne den Himmel in immer neuen atemberaubenden Farben leuchten, fahler Gewitterglanz ging über in endlos sich wölbende Regenbogen. Lissabon tauchte auf, Las Palmas, jedes Mal kamen Händler an Bord. Je weiter das Schiff nach Süden zog, desto exotischer wurden die Waren, die sie unter gellendem Geschrei anboten. Nie gesehene Früchte, unglückselige Papageien, die in der Sonnenglut stumm und angekettet auf den Booten hockten. Auch die Luft wurde immer feuchter und heißer, sie liefen Pernambuco an, ein Kranz von Land und Häusern um das Schiff, Bahia mit seinem schönen Panorama, danach Rio de Janeiro. Hier gingen viele der Passagiere von Bord. Die Menschen, die neu hinzukamen, hatten fast alle eine dunkle Haut, wobei die Gesichter der Frauen oft wie Masken wirkten, so stark waren sie geschminkt und gepudert. Mitten im August wurde es kühl. Das Schiff fuhr in den Winter hinein. Es zog vorbei an Santos, an Montevideo. Und ging schließlich in Buenos Aires vor Anker.
Mariana hatte die Reise genossen. Sie hatte getanzt und geflirtet, an der Tafel des Kapitäns als Ehrengast gespeist, alle möglichen Spiele gespielt, in vielen Sprachen geplaudert und in einigen langen Sternennächten ernsthafte Gespräche geführt. Auch die Äquatortaufe hatte sie über sich ergehen lassen, man hatte ihr den Namen »Nachtigall« verpasst. Die Damen kamen meist glimpflich davon, die Herrn und die Kinder dagegen wurden recht rüde behandelt, man seifte sie ein und schubste sie samt Schuhen und Kleidern in einen aus gewachstem Segeltuch erbauten Pool.
Mariana hatte gerne bei dem ganzen Treiben mitgemacht und ihren Spaß daran gehabt. Aber es war ihr nicht wichtig gewesen. Lieber saß sie allein in ihrer Kabine oder lag an einemwindgeschützten Platz zwischen zwei Rettungsbooten in einem Liegestuhl. Manchmal die halbe Nacht. Sie hatte sich diesen Platz sorgsam ausgesucht, kaum je verirrte sich einer der anderen Passagiere in ihre Nähe.
Mariana empfand diese Schiffsfahrt als magische Reise. Sie gab ihr ein Vorgefühl auf ihr künftiges Leben: immer wieder neue Städte, Länder, Kontinente, Menschen, die man kennenlernte und wieder aus den Augen verlor, ein kurzes Hineinschnuppern in fremde Welten, unzusammenhängende, bunte Szenen, die sich zu keinem festen Bild formen konnten. Denn es gab kein Verweilen. Die Zeit der Sesshaftigkeit war zu Ende, Mariana gehörte jetzt zum fahrenden Volk. Das klang sehr nach Abenteuer – und eine Abenteuerreise war es nicht. Sie führte von einem Ziel zum anderen, und stets würde es dort einen Ort geben, an dem für Mariana alles vertraut war: die Bühne. In jedem Opernhaus, zu dem sie ihre Reise führte, würde sie eintauchen in eine ihr bekannte Welt, zu der auch die Menschen gehörten, die sich dort tummelten. Mariana schien es, als sei sie Mitglied eines Ordens. Und ihr neues Leben war so etwas wie ein Pilgerreise.
Mariana war für die Reise gut gerüstet. Schon jetzt sprach sie mehrere Sprachen, und solange sie noch nicht Spanisch konnte, behalf sie sich munter plappernd mit einem Kauderwelsch, sie war da ganz hemmungslos. So garnierte sie fürs Erste ihr Italienisch mit spanischen Brocken. Bis sie nach Mexiko kamen, hatte es sich schon in ein ganz passables Spanisch verwandelt. Auch ihr klug aufgebautes Repertoire verschaffte ihr überall Interesse, zumal sie immer auf neue Rollen erpicht war und sie rasch lernte.
Eine Riesenhilfe auf all den Reisen waren ihre eiserne Gesundheit und Konstitution. Kaum jemals rebellierte ihr Magen, sie bekam keine Erkältung, keine Migräne. Bald verfütterte sie ihre Pillen und Säftchen, die sie vorsichtshalber mit sich führte, an ihre ständig von Zipperlein geplagten Kollegen. Auch Schlafen konnte sie in jeder Lebenslage. Sie
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