Im Schatten der Tosca
Junges in der ersten Zeit möglichst eng zusammenkuscheln sollten. Das tat beiden gut, und das Kind bekam dadurch Vertrauen ins Leben.
Mariana konnte Massimo jedoch nicht Tag und Nacht mit sich herumschleppen, und sie wollte es auch nicht. Sobald sie auf der Bühne stand oder sich vorbereitete, dachte sie nurnoch an ihre Arbeit. Darum hatte sie ein Kindermädchen engagiert, auf das sie sich voll und ganz verlassen konnte, war es doch die Tochter ihrer eigenen Kinderfrau.
Im Frühjahr trafen sich Mariana und Pietro in Wien. Endlich konnte er seinen kleinen Sohn so richtig erleben und herzen. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, ich komme mir vor wie ein Rabenvater. Stockholm und Rom, das ist aber auch gar so weit auseinander«, klagte Pietro. Zum ersten Mal zeigte sich in ihrem idyllischen Eheleben auch eine mühsame Seite. Sehr familienfreundlich war es offenbar nicht.
Auch jetzt konnte Pietro nicht länger als eine Woche bleiben. »Aber im Sommer in Bayreuth gebe ich meinen Massimo nicht mehr her, da kannst du Ragna in die Ferien schicken«, machte sich Pietro Mut. »Vergiss nicht, dass du noch eine Frau hast und dass es vielleicht doch ganz lieb wäre, wenn du abends zu mir in die Oper kämst. Soviel ich weiß, dürfen Kleinkinder und Hunde nicht in den Zuschauerraum«, sagte Mariana besorgt. Italiener galten als völlig kindernärrisch. Hoffentlich vergötterte Pietro nicht bald nur noch das Kind und stellte sie auf den »Mamma-Sockel«, wo sie dann – hochverehrt – verstaubte.
Sie verspürte tatsächlich so etwas wie Eifersucht, die kurzen, kostbaren Stunden mit Pietro hatte sie bisher mit niemand teilen müssen. »Beim Wandern kann ich Massimo ja in den Rucksack packen. Wir werden es schon hinkriegen. Das Kindermädchen muss doch dableiben«, sagte Pietro, als hätte er ihre Gedanken erraten.
Sie wollten sich nach einer großen Wohnung in Rom umschauen, überlegten sie. Möglichst mit einem Garten, aber doch nicht zu weit von der Praxis entfernt, schließlich würde Pietro häufig allein der Familie vorstehen müssen. »Dann bin ich die Rabenmutter, die wegfliegt. Und anderswo krächzt«, meinte Mariana.
Rom als das neue Nest, das schien das Vernünftigste zu sein. Im Grunde ging es gar nicht anders. Pietro konnte seinePraxis nicht auf lange Zeit im Stich lassen. Und damit bestimmte er, ohne es darauf anzulegen, den Wohnort des Kindes. Lange konnte Mariana das Kind ohnehin nicht mehr auf ihren Reisen mitnehmen. Es brauchte einen festen Platz, wo es gut aufwachsen konnte. Eine Muttersprache, die nun eher seine Vatersprache sein würde, Nachbarskinder, einen Kindergarten, später die Schule. Und ein paar Menschen, die zuverlässig da waren, wenn es morgens die Augen aufschlug und sie abends wieder zumachte – im eigenen Zimmer. Im eigenen Bett.
Mariana und Pietro hatten noch Zeit, es eilte nicht. Nach Bayreuth allerdings wollten sie mit dem Pläneschmieden ernsthaft anfangen und auch mit der Wohnungssuche. Vorher wollten sie aber unbedingt noch ein paar idyllische Tage in den Schären verbringen. Mariana trug sich alles schön säuberlich in ihren Kalender ein. Er war so eine Art Anker, der verhinderte, dass sie von unberechenbaren Böen und Winden plötzlich auf und davon geweht wurde.
In der Zwischenzeit tat sich einiges Merkwürdige – noch offener als bisher. Immer wieder kam es jetzt vor, dass Mariana plötzlich auf neue Sänger traf, die man gegen die alten ausgetauscht hatte, sie waren einfach verschwunden, ohne dass man sie davon in Kenntnis gesetzt hätte. Sie hasste das. Sie musste im Vorfeld wissen, mit wem sie es zu tun hatte. Sie legte ihre Rollen sehr sorgfältig an und stimmte sie auch auf die jeweiligen Partner ab. Das betraf sehr stark die darstellerische Seite, aber auch das Gesangliche. Sie wollte mit ihrem durchschlagenden Mezzosopran nicht irgendwelche zarten Soprane oder kleinen Tenöre in Grund und Boden singen. Keine Figur war von vornherein vollkommen festgelegt, das jeweilige Umfeld ließ bald diesen, bald jenen Charakterzug stärker hervortreten.
Es gab günstige Partnerkonstellationen, die Mariana inspirierten und beflügelten, und ungünstige, die sie niederzogen – es war wie mit den Regisseuren und Dirigenten. Wenn derRahmen gar nicht stimmte, nahm Mariana die Rolle nicht an. Das hieß nicht unbedingt, dass sie die anderen Künstler schlecht fand, schließlich konnte es ja auch sie, Mariana, sein, die einfach vom Typ her nicht zu den anderen passte. Wenn es sich
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