Im Schatten der Tosca
wie immer. Als unüberhörbare Neuerung dröhnte aus dem großen Souterrainzimmer, in dem sie oft ihre Gäste untergebracht hatten, wildes, nicht gerade einschmeichelndes Klavierspiel. »Wer ist denn das?«, wollte Mariana wissen. »Nun ja, du hörst es selbst, ein ›entarteter‹ Künstler«, sagte Rainer leichthin.
Erst als Mariana kurz vor der Abreise stand, sie wollte diesmal direkt nach Stockholm fahren, fragte Rainer sie leicht verlegen: »Wäre es sehr lästig für dich, wenn du ein paar Bilder in deinem Gepäck mitnehmen würdest?« Weil Mariana etwas verdutzt dreinschaute, erklärte er: »Es wäre mir einfach lieber, wenn ich die Sachen aus dem Haus hätte. Erstens sind sie hier nicht mehr ganz sicher und zweitens sollten wir die Kerle nicht unnötig ärgern, falls sie bei uns rumschnüffeln.« Mariana begriff immer noch nicht. »Nun ja, wegen Lilli«, sagte Rainer etwas verzagt. Und dann, schließlich: »Sie ist doch Jüdin.« Mariana hatte keine Ahnung gehabt.
Ein paar Tage später machte sich Mariana mit einem dritten Kofferungetüm auf die Reise, das, wie auch ihre eigenen Koffer, vollgepfropft war mit einem Durcheinander von Unterwäsche, Bildern, Schuhen, Noten, Skulpturen, Abendkleidern. Obendrauf ein paar besonders eindrucksvolle Rollenfotos von Mariana. Und in ihrer Handtasche eine kuriose Liste mit Namenwie »Die Zwitschermaschine« und einigen Unterschriften, darauf hatte Mariana bestanden: »Ich kann ja plötzlich tot umfallen, und dann weiß kein Mensch, dass euch die Sachen gehören.«
Natürlich kam kein Zollbeamter auf die Idee, das Gepäck der berühmten Operndiva zu kontrollieren. »Das nächste Mal möchte ich mehr von der köstlichen Wurst und dem Kuchen«, schrieb Mariana. Zum ersten Mal hatte sie ein mulmiges Gefühl, wenn sie an die Zukunft dachte.
Zum Glück vergaß sie es auch wieder. Pietro kam zu Besuch. So wie sich Mariana in seine römische Wohnung verliebt hatte, so glücklich fühlte er sich in dem kleinen Holzhaus auf dem Land, das Marianas Großeltern gehörte. Halbe Tage lang ruderten und segelten Pietro und Mariana durch die Schären, eingemummelt in Felljacken und Filzstiefel, sie sammelte Pilze und Beeren, er beobachtete die Tiere, vor allem die vielen Vögel, er hackte Holz, machte Feuer, briet und brutzelte hingebungsvoll. Wahrscheinlich war Pietro, der Stadtmensch aus dem Süden, in einem anderen Leben ein Lappe gewesen, anders konnte es kaum sein, dachte Mariana verwundert.
Sie waren überglücklich und zufrieden miteinander. Gerade weil sie nicht ständig zusammenhockten und zwei Berufe hatten, die sie mit Leidenschaft und Erfolg ausübten und gegenseitig wertschätzen konnten, führten sie eine Ehe, um die sie alle ihre Kollegen heftig beneideten.
Anfang 1938 unternahm Mariana eine zweite Südamerikatournee. Wieder bestieg sie einen riesigen Ozeandampfer, diesmal jedoch begleitet von der halben Familie, von Pietro, ihrer Mutter, ihrem Bruder Alexej samt dessen Frau und den Zwillingen, zwei hübschen sechsjährigen Buben. Unterwegs gesellte sich sogar noch Pietros Schwester Silvana samt Mann dazu. Sie hatte Anfang des Jahres einen Sohn, den kleinen Stefano, zur Welt gebracht. Ein gewaltiger Familienausflug also, der allen Spaß machte.
Doch in Buenos Aires gab es plötzlich Augenblicke, in denensich Mariana müde und zerschlagen fühlte. Sie war froh, dass die »Meute«, wie Alexej das nannte, wunderbar ohne sie zurechtkam. Die vielen Empfänge und die endlos langen Essen nach den Vorstellungen strengten sie mit einem Mal an. »Ich werde alt. Ich würde jetzt am liebsten schlafen gehen«, sagte sie zu Pietro. Und manchmal tat sie das dann auch.
Schließlich begriff sie: Sie war schwanger. Zunächst wusste sie nicht so recht, was sie davon halten sollte. Bis jetzt war sie immer froh gewesen, dass es bei ihr mit dem Kinderkriegen offenbar nicht klappte, sie hatte es auch wahrhaftig nicht darauf angelegt. In ein derart unruhiges, mit Arbeit vollgepfropftes Leben passte nicht auch noch ein Kind. Aber würde sich das jemals ändern? Irgendwann wäre sie dann zu alt. Mariana fing an, sich auf das Kind zu freuen.
Eine ganze Weile behielt sie das Geheimnis für sich. Ihr ganzes Leben schien sich umzukrempeln, erst als sie sich wirklich sicher war, dass sie die Veränderung auch wollte, sie selbst, aus freien Stücken, erzählte sie Pietro davon. Der war hingerissen: »Wir werden das Kind schon schaukeln, keine Sorge.« Sonst sollte zunächst niemand davon erfahren,
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