Im Schatten der Tosca
fand sie es. Wer weiß, vielleicht war es für die Betroffenen doch besser, wenn sie dieses Land verließen.
Bald sagte sie auch nichts mehr, wenn wieder einmal eine unvorhergesehene Umbesetzung stattfand. Zumal in den Direktionsbüros neue, recht undurchschaubare Gestalten auftauchten. Vor einigen wurde sie sogar gewarnt: »Vor dem halt die Schnauze. Das ist ein Spitzel.« Eine merkwürdig gespannte Stimmung entstand dadurch in den Opernhäusern.
So langsam machte sie sich auch um Lilli Sorgen. Sie lud sie zusammen mit Rainer ein nach Bayreuth und redete auf die beiden ein, aber die sahen nach dem anfänglich unbehaglichen Gefühl die Lage ganz entspannt, bisher war alles gut gegangen. Schließlich wurde doch beschlossen, Lilli solle nach den Festspielen zusammen mit der Familienkarawane nach Stockholm reisen. Sich ein wenig umschauen konnte nicht schaden.
Es gab auch begrüßenswerte Veränderungen, gerade in Bayreuth. Dort stolzierten längst nicht mehr so viele Uniformträger wie sonst auf dem grünen Hügel herum. Und das Mitteilungsbedürfnis der Dagebliebenen schien auch nicht mehr so ausgeprägt. Jetzt steckten sie die Köpfe zusammen, tuschelten und taten sich wichtig. Mochten sie ihr Geheimnis für sich behalten, Hauptsache, sie ließen die Künstler in Ruhe.
Wehrmachtsangehörige, vor allem die höheren Ränge, waren noch dünner gesät. Hitler bekam Mariana diesmal gar nicht zu Gesicht. Der vorgesehene Empfang wurde kurzfristigabgeblasen. Mariana war heilfroh, sie hatte so etwas längst satt. Wie abkommandiert kam sie sich immer vor und ärgerte sich, schon weil es für sie und ihre Kollegen eigentlich unmöglich war, sich einer solchen offiziellen Angelegenheit zu entziehen, vor allem nicht, wenn es sich um das Staatsoberhaupt handelte, ganz gleich welchen Landes. Irgendjemand, der immer alles wusste, behauptete, der Führer sei abgereist. Was offenbar doch nicht stimmte, denn ein paar Tage später wurde er neben Winifred Wagner im Fond eines Wagens gesichtet.
Nirgendwo, auf keiner anderen Bühne der Welt, herrschte eine so hochgestimmte, intensive Arbeitsatmosphäre wie in Bayreuth. Auch in diesem Sommer 1939. Wer als Künstler auf den grünen Hügel berufen wurde, fühlte sich aufgenommen in einen Orden. Manche von ihnen, ausgerechnet die knurrigsten Dirigenten, pilgerten voller Ehrfurcht an ihre Wirkungsstätte und walteten gleich Priestern demütig ihres Amtes. Besonders an Tagen der Aufführung zogen sie sich völlig zurück, um sich, wie in einer Klause, auf die große Aufgabe einstimmen zu können. Aber selbst die anderen, die sich trotzdem noch unbefangen ihr Essen schmecken ließen und an spielfreien Tagen ganz harmlosen Ferienvergnügungen nachgingen, überkam, sobald sie durch den Bühneneingang das Festspielhaus betraten, eine Art Weihestimmung. Für die Mitwirkenden des ›Parsifal‹ galt das am allermeisten.
Auch Mariana hatte von Anfang an den besonderen Geist des Ortes verspürt. Was sie aber durchaus nicht an ihren Wanderungen und verliebten Abenden mit Pietro gehindert hatte. Doch in diesem Jahr geriet auch Mariana in den Sog des ›Parsifal‹. Sie sang die Kundry.
Eine größere Herausforderung, aber auch Ehre gab es an diesem Haus nicht für eine Mezzosopranistin. Auf eine neue Kundry wartete die ganze Wagner-Welt, begierig darauf, sie mit den berühmten Vorgängerinnen zu vergleichen. Einige von ihnen kannte Mariana. Das machte ihr keine Angst, abernoch nie hatte sie eine Aufgabe so ernst genommen. Darüber hinaus war sie einfach glücklich, mit dabei sein zu dürfen, sicher geleitet vom tiefsinnigsten dieser Priesterdirigenten, umgeben von ergreifenden, selbst ergriffenen Sängerkollegen. Immer wieder kam es zu Augenblicken, in denen die Zeit stillstand, eine mystische Welt sich auftat, in der es darauf ankam, die richtige Frage zu stellen und endlich Erlösung zu finden.
Mariana hatte sich für Bayreuth alles ganz fabelhaft ausgedacht: hier nur die eine, schöne Rolle, dort endlich einmal das Familienleben, mit Kind und Mann und allem, was dazugehörte. Doch wie Kundry stand auch sie unter einem Bann. Mitten bei einem gemütlichen Essen lockte sie etwas zu ihrer Kundry-Figur, wie abwesend saß sie dann da und hatte Mühe, zu den anderen zurückzufinden. Sobald sie aber auf der Bühne stand, blieb alles andere verschwunden. Mariana war ganz ratlos, so hartnäckig hatte noch nie eine Bühnenfigur von ihr Besitz ergreifen wollen. Schließlich ergab sie sich willig dem
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