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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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Zauber. Jetzt hatte Pietro tatsächlich den kleinen Massimo ganz für sich.
    Bis dahin hatten meist sehr reife Künstlerinnen in Bayreuth die Kundry gesungen. So war sie zu jenem Fabelwesen geworden, das im ersten und dritten Aufzug in düsteren Gewändern herumkroch, fast wie ein struppiges Tier, im zweiten Aufzug jedoch prächtig frisiert und gewandet auf einem üppigen Lager thronte und von dort, aus der Ferne, Parsifal zu verführen suchte. Durch Mariana veränderte sich diese nicht sehr überzeugende Situation. Schon zu Anfang erschien sie als ein schlankes, sportliches Wesen, dem man die strapaziösen Ritte nach Arabien und wieder zurück durchaus zutraute. Vor allem der zweite Aufzug geriet mit ihr zur Sensation: Endlich begriff man, warum der fromme, keusche Amfortas Klingsors strahlender Geheimagentin in Sünde erliegen musste. Und auch Parsifals Standhaftigkeit geriet durch Kundrys zärtliche Umarmungen deutlich ins Wanken. Zwischen den beiden entspannsich eine echte Liebesszene, sie verliebten sich und begehrten einander. Einzig die anrührende Innigkeit, mit der Kundry dem jungen Menschen vom Tod seiner Mutter erzählte, brachte die Liebessehnsucht ins Stocken. Als sie ihm eröffnete »Und Herzeleide starb«, brach nicht nur Parsifal in Tränen aus. Auch dem Publikum ging plötzlich das einsame Leben dieser von ihrem unbedarft-naiven Sohn sorglos verlassenen Frau zu Herzen. Es war aufregend mitzuerleben, wie hier die Verführerin wider Willen, die inzwischen doch Leidenschaft verspürte, von ihrem eigenen Mitgefühl aus dem Konzept gebracht wurde. Ausgerechnet sie, die vor endlosen Zeiten beim Anblick des gemarterten Christus in ihr schauderhaftes Lachen ausgebrochen war.
    Schon seit Jahren war Mariana ein Publikumsliebling auf dem grünen Hügel. Doch erst die Kundry trug ihr die höchsten Bayreuth-Weihen ein. Das hatte keine Waltraute und Fricka, keine Ortrud und Brangäne vermocht. Jetzt wurde Mariana in einem Atemzug mit den anderen Wagner-Heroinen der Vergangenheit und Gegenwart genannt. Am meisten bewunderte man ihre Fähigkeit, gleichermaßen als Sängerin und als Schauspielerin Spannung zu erzeugen und die Herzen zu rühren. Dadurch erwachten die Figuren zum Leben, das Publikum bestaunte sie jetzt nicht mehr als schöne, aber doch ferne Kunstwesen, sondern konnte sie lieben und betroffen Anteil an ihrem Schicksal nehmen.
    Es gab berühmte Sängerinnen und Sänger, die wurden fast ausschließlich ob ihrer prachtvollen Stimmen bewundert, was sie sangen, war gar nicht so wichtig. Wieder andere wurden wegen ihrer Rollen geliebt, mit denen sie das Publikum erschüttert hatten: eine süße, junge Mimi, die so gerne hätte leben wollen, ein trotz aller Erfolge unsicherer, unseliger Otello ... Mariana gehörte ganz eindeutig zur zweiten Kategorie. Sie wollte nicht sich selbst, sondern die Figur in den Vordergrund stellen. Sie bedauerte auch nicht, dass sie als Mezzosopran nur selten die stücketragenden Rollen bekam.Jede Figur, so fand sie, hatte ein eigenes Schicksal und wurde interessant, sobald man sie ernst nahm.
    Aber die Kundry erschütterte dieses Konzept ein wenig. Schuld daran war der als überaus kritisch verschriene ›Parsifal‹-Dirigent mit einer Bemerkung, die er eines Tages während der Proben machte: »Bei jedem anderen Dirigenten würde ich es für Selbstmord halten, merken Sie sich das. Aber warum wollen Sie nicht einmal mit mir die Isolde singen?« Sosehr Mariana ihre Brangäne liebte, die Isolde besaß für sie als dramatische Sängerin einen größeren, fast unwiderstehlichen Reiz. Dabei wusste sie – vom Instinkt her und weil sie ihre Stimme kannte –, dass sie in der Höhe wohl nie jene volle stimmliche Durchschlagskraft erreichen würde, die zu einer derart emotionsgeladenen, leidenschaftlichen Partie gehörte. Es gab genügend Sängerinnen, die sich ganz geschickt durchmogelten, aber derartige Kompromisse kamen für sie nicht in Frage.
    Die hohen Töne zu erreichen, das war nicht das Problem. Gerade in der letzten Zeit hatte sich Marianas Repertoire etwas verlagert oder zumindest erweitert. Von der schwergewichtigen Azucena mochte sie zwar immer noch nicht lassen, aber jetzt tummelte sie sich auch mit großem Behagen in den lichteren, leichteren Gefilden einer Rosina im ›Barbier von Sevilla‹ mit allen Koloraturen und Trillern.
    Darauf hatte sie Marcello Rainardi gebracht, als er sich überlegte, mit welcher Rolle sich Mariana in der Mailänder Scala vorstellen sollte: »Mit

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