Im Schatten der Tosca
ein verführter Verführer.
Schon vor der Premiere erhielten die drei Freundinnen, samt ihrem Dirigenten, gemeinsame Angebote. Das Reizvollste, das sie auf der Stelle annahmen, kam aus Salzburg.
Obwohl Mariana oft in Deutschland und Österreich arbeitete, bekam sie von der politischen Entwicklung nicht viel mit. Die Welt der Oper hatte mit der Wirklichkeit eher wenig zu tun. Da nutzte kein Parteibuch, keine noch so schneidige Uniform oder Gesinnung, mittelmäßige Gestalten hatten auf den großen Bühnen nichts verloren. Immer wieder lernte Mariana irgendwelche Parteigrößen kennen. Sie waren ihr ganz einfach unsympathisch. Wie anders erschienen sie ihr doch als die Menschen, mit denen sie normalerweise zusammen war, die sie mochte, liebte, respektierte, all ihre Freunde, die Kollegen, andere Künstler, Komponisten, Maler, Schriftsteller, Schauspieler – ihre Familie.
Nun gut, Leute wie diese neuen Machthaber in Deutschland gab es sicher überall, und Mariana war ihnen schon immer aus dem Weg gegangen. Ein paar wenige von ihnen mochten richtige Fanatiker sein, und wenn Mariana etwas verabscheute, dann Fanatismus. Das war das Böse, Starre, Todbringende, das Gegenteil von Leben, Bewegung, Liebe. Aber die meisten waren ganz einfach Dummköpfe, Wichtigtuer, Schwätzer. Leider verehrten sie Mariana, die nordische Künstlerin, und quatschten ihr die Ohren voll mit krausem »Gedankengut«. So priesen sie ihr die Überlegenheit der germanischen Rasse, der sie als Schwedin offenbar auch die Ehre hatte anzugehören. »Gehören die Russen auch dazu?«, fragte sie scheinheilig. »Wissen Sie, mein Vater ist Russe.« Noch ärgerlicher fand sie das von jeder Kenntnis ungetrübte Geschwätz über Wagner, über die fabelhaften germanischen Götter, die LichtgestaltSiegfried, den Helden Tristan. »Betrüger, Lügner, Gescheiterte, Gebrochene«, versuchte Mariana diesen Schwätzern zu erklären. Aber das ging über deren Verstand.
Besonders in Bayreuth schwärmten rudelweise diese sonderbaren Wagner-Verehrer herum. Ordenbestückt, in ihren S A-Uniformen mit den übermäßig weit ausgestellten Reithosen, sahen sie noch klobiger aus, als sie waren. Der breite braune Gürtel über den Bäuchen unterstrich diesen Eindruck. Dagegen wirkten die Uniformen der Waffen-SS wie das strenge Gefieder von Raben. Die Gattinnen dieser Herrn trugen meist dirndlartige Kleider, dazu weiße Söckchen und flache Schuhe, die Haare zu Zöpfen geflochten und mit riesigen Haarnadeln um den Hinterkopf geschlungen. Das weibliche Bayreuther Publikum war immer schon etwas eigenwillig gewandet gewesen, oft in handgewebten, wallenden Gewändern, umklirrt von edlen Ketten, doch wahrlich nicht modisch-elegant, eher verschroben.
In Bayreuth wurde Mariana auch Hitler vorgestellt. Er vergötterte Wagner ganz offensichtlich und kannte sich erstaunlich gut aus. Mit Mariana sprach er sehr vernünftig, wenn auch nicht besonders originell über ihre Gestaltung der Ortrud. Man behauptete, er kenne jeden Ton des ›Rings‹, fast war Mariana geneigt, es zu glauben. Den Künstlern gegenüber gab er sich höflich und interessiert, doch sonderbarerweise, Mariana hätte kaum sagen können warum, wirkte seine Freundlichkeit verkrampft und aufgesetzt. Vielleicht kam es von den starren Augen, mit denen er seine Gesprächspartner fixierte, als wolle er sie mit seinem Blick bannen. Das empfand Mariana als unangenehm.
Im Übrigen verwischten sich bei Mariana durch die vielen Reisen bis hin nach Nord- und Südamerika die Eindrücke. Wenn sie bestimmte Sänger in Berlin oder Wien oder Dresden nicht mehr traf, dann begegnete sie ihnen eben wieder in New York oder Chicago. Zudem hatte sie als Schwedin, die jetzt auch noch einen italienischen Pass besaß, mit den Verhältnissenin Deutschland eigentlich nichts zu tun. Sie bedauerte viel eher, dass sie nicht nach Russland reisen konnte, wie gerne, ach wie gerne hätte sie dort gesungen und nach Herzenslust Russisch gesprochen und die verlorene Heimat besucht. Aber damit war es wohl ein für alle Mal vorbei.
Nur in Stuttgart, wo sie wirklich gute Freunde hatte, wurde Mariana stutzig. Aber zunächst fiel ihr auch dort nichts auf. Die kleine Katharina war inzwischen ein recht großes Mädchen geworden, sie ging in die Waldorfschule und wollte Geigerin oder Sängerin werden, so genau wusste sie es noch nicht. Das schien bei Marianas früheren Nachbarn die einzige Veränderung zu sein. Rainer und Lilli waren unternehmungslustig und elegant
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